Karlsruhe: Politik muss Einfluss auf das ZDF zurücknehmen

Karlsruhe (KNA) Staat und Politik müssen sich stärker aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückziehen. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied am Dienstag in Karlsruhe, dass der Anteil staatlicher und staatsnaher Personen im Fernseh- und Verwaltungsrat des ZDF auf maximal ein Drittel begrenzt werden muss. Derzeit stellen sie knapp die Hälfte. Auf die Auswahl der Repräsentanten anderer gesellschaftlicher Gruppen in den ZDF-Gremien dürfe die Politik keinen bestimmenden Einfluss haben. Zugleich verlangen die Richter «ein Mindestmaß an Transparenz» über die Arbeit von Fernseh- und Verwaltungsrat. Eine Neuregelung des ZDF-Staatsvertrags muss bis Mitte 2015 erfolgen. (1BvF 1/11 und 1/BvF 4/11)

Vertreter des ZDF und der Journalistenverbände sowie Politiker von SPD und Grünen sprachen von einem guten Urteil zu Gunsten der journalistischen Unabhängigkeit. Die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg hatten geklagt, nachdem 2009 eine CDU-nahe Mehrheit im Verwaltungsrat den Vertrag von Chefredakteur Nikolaus Brender nicht verlängert hatte.

Der Erste Senat verlangt unter Berufung auf das Grundgesetz, öffentlich-rechtlichen Anstalten so zu organisieren, dass «die Vielfalt der bestehenden Meinungen möglichst breit und vollständig Ausdruck findet». Das Gericht spricht sich dafür aus, auch kleineren Gruppen einen Zugang zu den Aufsichtsgremien zu ermöglichen. Sie könnten etwa wechselweise in den Räten vertreten sein. Ausdrücklich schließen die Richter aus, dass Regierungsmitglieder oder Parlamentarier als Vertreter staatsferner Gruppierungen für die ZDF-Gremien benannt werden.

Der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, sprach wiederholt vom «Gebot der Staatsferne» für die Sender und deren Kontrollgremien. Mitglieder von Fernseh- und Verwaltungsrat müssten ihre Arbeit «weisungsfrei» erfüllen können. Bundesverfassungsrichter Andreas Paulus lehnt in seiner abweichenden Meinung die Mitwirkung von Regierungsmitgliedern in öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien auch grundsätzlich ab. Öffentlich-rechtliche Sender dienten «nicht der Verbreitung staatlicher Informationen», so Paulus.

Unberührt von den Karlsruher Auflagen zur Neustrukturierung von Fernseh- und Verwaltungsrat bleiben Kirchen und Religionsgemeinschaften. Von den 77 Personen vertreten derzeit zwei die katholische und zwei die evangelische Kirche. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland stellt ein Mitglied im Fernsehrat. Muslime sind indes nicht in den Gremien repräsentiert.

ZDF-Intendant Thomas Bellut sieht durch das Urteil «die journalistische Unabhängigkeit eindeutig gestärkt». Die Ein-Drittel-Begrenzung für politische Vertreter nannte er «pragmatisch weise», die Gremienunabhängigkeit sei «extrem wichtig». Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sprach von einem «deutlichen Signal» des Gerichts. Sie äußerte sich optimistisch, dass es den Regierungschefs der 16 Bundesländer gelingen werde, die vom Gericht vorgegebene Frist zur Neugestaltung des Staatsvertrages einzuhalten. Es gebe «genügend Spielraum» zur Neugestaltung.

Der ZDF-Fernsehratsvorsitzende Ruprecht Polenz wertete das Urteil als «klares Bekenntnis» des Verfassungsgerichts zur Binnenkontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. «Damit sollten die übergriffigen Versuche der Landesmedienanstalten, sich als Generalkontrolleure des Fernsehens in Deutschland zu positionieren, endgültig vom Tisch sein.»

Der Verwaltungsratsvorsitzende des ZDF, Kurt Beck, erklärte, das Urteil stärke die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Es setze klare Maßstäbe zur Zusammensetzung der Aufsichtsgremien und ihrer Vielfalt. Die Grünen im Bundestag erklärten, das Urteil werde als eines der bedeutendsten Rundfunkurteile in die Geschichte eingehen und weite Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben.