Drei interessante Bücher zeigen die geistigen Hintergründe des Müllproblems auf. Wir geht die Menschheit in Zukunft mit ihm um?
(iz). Wie kann man das Thema Müll mit dem Reisen in Verbindung bringen? Für den Professor der Philosophie Oliver Schlaudt ist das kein Widerspruch. Mit seinem faszinierenden Buch „Zugemüllt“ legt er einen ungewöhnlichen Reisebericht vor. Die Expedition führt zu den Wahrzeichen unserer Müllkultur, sei es eine Mülllandschaft in Bitterfeld, eine Sondermülldeponie auf einer künstlichen Rheininsel oder die weltgrößte Untertagedeponie in Hessen.
Für ihn ist dieses „Reisen keine Flucht mehr vor der selbstgeschaffenen Realität, sondern die volle Konfrontation mit ihr“. Er ruft zu einem anderen Entdeckermut auf. Die Begegnung mit den Denkmalen des Anthropozäns nötigt dem Beobachter die Einsicht ab, dass es weder die Fremde noch unberührte Landschaften mehr gibt.
Die Zeichen und Hinterlassenschaften unserer Konsumgesellschaft in der Umwelt sind, zumindest wenn wir die Augen aufmachen, eindeutig. Marcos Buser spricht in seiner „Rubbish Theory“ ausdrücklich vom Müll als kulturellem Erbe und relativiert damit die romantisierende Idee der Leitkultur.
Müll hat gewaltige Dimensionen
Das Phänomen hat gewaltige Dimensionen. Zwischen 1900 und 2015 soll die Menschheit geschätzte 1.315 Gigatonnen festigen und flüssigen Müll und weiteren 643 Gigatonnen gasförmige Emissionen produziert haben, insgesamt 2 Billionen Tonnen Abfall.
Die Tempel der Müllmoderne (Cyrille Harpot), die auf der Reiseroute liegen, erinnern daran, dass erstmals in der Natur- und Kulturgeschichte Müll anfällt, der von der Biosphäre nicht mehr resorbiert wird. So entsteht ein „unheilbarer Riss“ und das Ende der Kreislaufwirtschaft.
Das Problem lässt sich nicht national eingrenzen, wie die Plastikverschmutzung der Erde eindrücklich belegt. 100 Millionen Tonnen sind in den Ozeanen und täglich werden es mehr. Die Hinterlassenschaft bildet zwischen Hawaii und der kalifornischen Küste den Great Pacific Garbage, eine Fläche, die drei Mal so groß wie Frankreich ist. Man erinnert sich beim Lesen dieser Passage des Berichts an ein Zitat von Reiner Kunze: „…und am Ende ganz am Ende, wird das Meer in der Erinnerung blau sein.“
„Die Entsorgung der menschlichen Abfälle, die in der modernisierten Welt (…) anfielen, war der eigentliche Sinn von Kolonialisierung und imperialistischer Eroberung“, argumentierte vor Jahren der Soziologe Zygmunt Baumann.
Zwar ist die Kolonialzeit zu Ende gegangen, Fakt ist aber, dass der Export von Abfällen aus den Industrieländern ein dubioses Geschäft ist und in der Tradition der Ausbeutung steht.
Foto: Freepik
Export unseres Wohlstandsmülls
Unser Wohlstandsmüll wurde über Jahrzehnte in Urlauber-Paradiese wie die Türkei, Malaysia oder Indonesien exportiert. Schnelllebige Modeartikel aus den USA und Europa, die keine Abnehmer gefunden haben, werden nach Südamerika verschifft und enden in der chilenischen Atacama-Wüste. In einer Reportage des NDR liest man über die Überproduktion des perversen Systems der Fast Fashion. „Was die Industrienationen nicht wollen, landet zu großen Teilen hier in der Freihandelszone Zofri: 59.000 Tonnen Kleidung pro Jahr.“
Zurück nach Deutschland, in die ehemaligen Kohlefördergebiete rund um Bitterfeld. Durch die Flutung der Krater, die durch den Kohleabbau in der Umgebung entstanden sind, entstehen künstliche Seen und damit neue Feriengebiete. Die Idylle ist etwas trügerisch. Man schätzt, dass unter der Stadt auf einer Fläche von 25 Quadratkilometern etwa 200 Millionen Kubikmeter hochgradig verseuchtes Grundwasser durch das Gestein strömt.
Über Jahrzehnte – wie der SPIEGEL 1990 berichtete – wurde gigantische Menge giftige Abwasser (genug für einen Tankwagenzug, der von Hamburg bis Melbourne reicht) in der Region entsorgt. Ein ehemaliges Chemiekombinat lieferte den Müll seiner Reaktionsöfen und Rührmaschinen ab. Das Gift gelangte von der Mulde bis in die Elbe. Es ist seitdem in den Fischen des Wattenmeers nachweisbar.
Niemand kann genau sagen, welche Stoffe sich heute im Untergrund bilden und wo diese unbekannten Substanzen einst wieder auftauchen werden. Hunderte Pumpen saugen täglich verseuchtes Grundwasser ab, um die Kloake in Schach zu halten. Für vermutlich ein Jahrhundert ist keine andere Lösung in Sicht.
In seiner Argumentation weist Schlaudt auf ein Paradox hin. Wir sind heute von den Idealen der Sauberkeit, Hygiene und Sterilität beherrscht. „Der industrielle Dreck ermöglicht uns die Illusion von Reinheit, und diese lässt uns umgekehrt jenen übersehen.“
Das Fazit des Philosophen: „Im Licht dieser Analyse erscheint der Müll immer mehr als das gesellschaftlich Unbewusste, das Kollektiv Verdrängte.“ Die Konsequenz ist klar: Alles Verdrängte kommt eines Tages mit Gewalt zurück.
Foto: metamorworks, Adobe
Nicht ohne eine Vision
Die Deutschlandreise entlässt den Leser nicht ohne eine Vision. Das, wie wir wissen, nur begrenzt effektive Recycling scheint heute die Lösung von Rationalität und Technik zu sein. Schlaudt fordert eine Kehrtwende zu einer echten Kreislaufwirtschaft. Er sieht – zum Beispiel – in der Philosophie des Humus oder dem intelligenten Einsatz von Bakterien nicht nur eine Low-Tech-Variante, sondern einen metaphysischen und kosmologischen Gegenentwurf.
Und: Wir müssen wieder lernen, den Dingen einen Wert zu geben. Das heißt, keine Produkte zu kaufen, die nur eine kurze Lebenszeit versprechen.
In „Müll und Geist“ setzt sich Guillaume Paoli mit dem Denken in postnormalen Zeiten auseinander. Seine These: Die Verschmutzung entsteht bereits im Kopf. Der Ausgangspunkt seiner Überlegungen klingt dramatisch: „Die Parole Wohlstand für alle, hat sich als Anstiftung zum kollektiven Selbstmord entpuppt.“
Paoli setzt sich mit den Lösungsansätzen für die Umweltproblematik und der grundsätzlichen Frage nach der Technik auseinander. In den „Achsenjahren“ zwischen 1970-75 verpuffte in den westlichen Industrienationen die Fortschrittsgläubigkeit. Danach folgte ein halbes Jahrhundert der Untätigkeit, des Wegschauens und der faulen Ausreden.
Die Sorgen über die Zukunft des Menschen sind für den Denker bis heute geblieben, denn „wo das Rettende nicht auftaucht, wächst die Gefahr auch“. Er ruft im Geist des Philosophen Günther Anders (1902-1992), der seine Vorbehalte gegen die moderne Technik schon früh formuliert hat, zu einem Mut der Angst auf. Diese Haltung muss eine furchtlose sein, keine panische, eine liebende, keine egoistische und eine belebende, die uns „statt in die Stubenecken hinein in die Straßen hinaus“ treibt.
Auf der denkerischen Seite zeigt Paoli die Geschichte der Ansätze für eine Lösung der Umweltprobleme. Die Spannbreite reicht von der Hoffnung auf eine „grüne“ industrielle Revolution, dem Übergang von der bösen zur guten Technik, bis hin zu Utopien einer Rückkehr einer harmonischen Biosphäre und dem perfekten Recyclinghof. Politisch zeigt er die Wege auf, die vom Ruf nach einer Revolution bis hin zu gemäßigten, evolutionären Reformmodellen reichen.
Ein anderes Extrem symbolisieren die Überlegungen von Technokraten, die den Menschen künftig unter die Aufsicht von Algorithmen und künstlicher Intelligenz stellen. Die Tagespolitik folgt der Logik der Steigerung, von der Idee des endlosen Wachstums, über mit neuer Verschuldung finanzierten Investitionen, bis hin zu einer ausufernden Bürokratie.
Foto: Freepik.com
Ökologie und Ökonomie gehören zusammen
Wichtig sind für den Denker, die ökonomischen Zusammenhänge nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Frage ist für ihn, ob unser Wirtschaftssystem und ein funktionierendes Ökosystem überhaupt zusammenpassen. Nicht nur das Produkt, der Abfall selbst ist ja am Anfang schon ideell vorhanden.
„Es ist unmöglich, Stoffe komplett zu recyceln. Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist beschleunigte Entropie“. Für Paoli korreliert die Vermehrung des Mülls in der Welt mit der endlosen Spirale des abstrakten Verwertungsprozesses namens Kapital. Für den Menschen zeigt sich die fatale Lage in dem Gefühl wachsender Entfremdung.
Unstrittig ist, dass die ökologischen Krisen, in der sich die abzeichnende Epoche befinden, den Menschen in ein Dilemma werfen. Es scheint keine Alternativen zur Idee des endlosen Wachstums zu geben, und – wie Paoli feststellt – wird schlichte Anpassung das unwirksam gewordene Gegensatzpaar Fortschrittlichkeit und Konservatismus letztlich ablösen. Und, will man hinzufügen, es bleibt zu hoffen, dass der Mensch sich nicht in die alten Irrwege der Ideologien flüchtet.
Foto: Bahatha.co
In der muslimischen Welt
In der islamischen Welt rufen Aktivisten, wie der Engländer Fazlun Khalid, seit Jahrzehnten zu einem Umdenken und – unter Beachtung der Quellen – einem erneuerten Bewusstsein auf. Sein 2019 erschienenes Buch, die Zeichen der Erde, ist von einem Qur’anvers inspiriert: „Es gibt Zeichen auf der Erde für Menschen mit Gewissheit. Und auch in Euch selbst. Versteht ihr denn nicht?“ (Sure 51, Ad-Dariyat, 20-21) Er zeigt die Notwendigkeit und Verpflichtung für Muslime auf, die Schöpfung in einer kollektiven Anstrengung zu bewahren und zu schützen.
Dabei verknüpft er das Umweltthema mit den sozialen und ökonomischen Prinzipien der Lehre und entwirft so die Vision eines gemäßigten Kapitalismus. Inzwischen haben hunderte Gelehrte und Organisationen die islamische Position zur Ökologie in einem Dokument namens „Al-Mizan“ ausführlich zusammengefasst.
Die Initiative demonstriert, dass der Islam eine Inspirationsquelle für nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz ist. Die globalen Verstrickungen der Umweltprobleme lassen den Autoren des Manifests keine Wahl: Lösungen wird es nur im Zusammenspiel mit Aktivisten, Organisationen und Regierungen aus aller Welt geben.
Ein gemeinsames Ziel ist den verbreiteten Fatalismus zurückzudrängen. „Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt“ – diese Mahnung hatte schon Friedrich Nietzsche dem aufkommenden Nihilismus in der Moderne entgegengesetzt.