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Reiseblog Westbalkan: Pocitelj und der Massentourismus

pocitelj
Fotos: Autor

IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger auf den Spuren von Evliya Çelebi: Nachdenken über Massentourismus bei einem Besuch in Pocitelj.

(iz). Der Massentourismus wirkt manchmal wie eine starke Strömung, die das originäre Leben aus Städten und Landschaften verdrängt. Der ehemalige Herausgeber der FAZ, Joachim Fest, beschrieb die Charakteristik des Vorgangs: „Touristen verändern alles, außer sich selbst.“

Die wechselhafte Geschichte von Pocitelj – zwischen Sarajevo und Mostar gelegen – ist allgegenwärtig und reicht weit zurück. Die Burg über dem Ort wurde von bosnischen Königen errichtet und später (1471) von den Osmanen erobert.

Wie wir seit Ibn Khaldun wissen, ist die Geschichte ein stetes Auf und Ab. Die Venetier verdrängten die alte Herrschaft für 25 Jahre. In den 1990er Jahren wurde der Ort zerstört und viele der dortigen Muslime getötet oder verschleppt.

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Wir steigen die, von den Schritten tausender Besucher abgeschliffenen Steintreppen hinauf zur Moschee. Unter der mit drei Kuppeln versehenen Vorhalle bieten Händler ihre Produkte an. Der Gebetsraum selbst ist verschlossen. Das Gebäude zieht von jeher, wegen seiner außergewöhnlich feinen Architektur, die Bewunderung auf sich, wirkt aber ein wenig wie ein erloschener Stern. Man ahnt nur noch, dass dieser Ort vormals ein Mittelpunkt einer lokalen Ordnung und ein wichtiges religiöses Zentrum war. 

Unser Weg führt uns weiter hinauf auf eine Aussichtsplattform.

Dort wird man belohnt mit einem Blick auf die Landschaft, die vom Fluss Neretva geprägt ist und mit der Aussicht auf das Ensemble der liebevoll restaurierten Siedlung. Uns gefallen die Steinhäuser, zum Teil weiß verputzt und mit Holzfenster versehen. Die verbliebenen Bewohner im Ort gestalten die kleinen Gärten, die mit ihrer Flora und Fauna verzaubern, als würde die Zeit still stehen.

Nach unserem Rundgang sitzen wir am Ortsrand in ein Café. Der Kellner bedient hier mit sprödem Charme seine Kunden. Ein Mann, der offensichtlich schon viele Gäste in seinem Leben bewirtet hat, nimmt stoisch unsere Bestellung auf. Er verschwindet in einem alten Gebäude, das früher Teil einer Anlage für Reisende war. Wir lesen – bis er zurückkehrt – die Beschreibung des Sisman Ibrahim Pasha Han.

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Der Namensgeber hat die Herberge und das Badehaus im 17. Jahrhundert in Form einer Stiftung gegründet, mit der Absicht durch den Obulus der Reisenden die Madrasa im Ort zu finanzieren. Diese Infrastruktur, die dem Wohlergehen der Gäste und dem guten Zweck gewidmet ist, findet man überall in der islamischen Welt.

Im 20. Jahrhundert war die Anlage nur noch eine Ruine, bis in den 1970er Jahren das Café und Restaurant eröffnet wurde. In dieser Zeit kamen auch viele Künstler in den Ort, um sich von der Atmosphäre inspirieren zu lassen.

Wir denken ein wenig wehmütig zurück an unsere Zeit in Sarajevo. Auch dort gibt es die Wellen des Tourismus, aber die muslimische Lebensenergie ist so stark, die Einrichtungen so belebt, das Treiben auf dem Markt so bunt, dass die Atmosphäre niemals museal wirkt. Vielmehr kommt es zu einer echten Begegnung zwischen den Religionen und den Kulturen, die Gäste und Einheimische in ihren Herzen tragen.