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Aktuelles Thema Theologie: Debatte um den Standort Münster hat weitere Kreise gezogen

„Es gibt sehr viele Muslime, welche die Debatte wirklich sehr differenziert verfolgen, gerade unter jungen Muslimen, und die bei Professor Khorchide interessante Aussagen finden, die sie unterstützen würden. Aber genauso […]

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Zum heutigen Besuch des Bundespräsidenten beim Zentrum für Islamische Theologie in Münster: Keine Islamlehre an der Mitte der islamischen Gemeinschaft vorbei fabrizieren. Von Aiman A. Mazyek

(iz). Vorweg: Mit dem Besuch des Zentrums für Islamische Theologie Münster würdigt der Bundespräsident, dass an deutschen Hochschulen neben der christlichen Theologie nun auch der islamische bekenntnisorientierte Glaube gelehrt wird. Dies rechnen wir Herrn Gauck hoch an, weil damit ein wichtiges integrationspolitisches Zeichen gesetzt wird. Schließlich hat ja sein Amtsvorgänger auch die islamische Theologie an der Uni Osnabrück besucht.

Dennoch darf nicht hinweggetäuscht werden, dass es derzeit erhebliche Kritik und Unstimmigkeiten über die Vorgänge im Zentrum für Islamische Theologie mit seinem Leiter Mouhanad Khorchide und dessen Publikationen gibt.

Khorchide erhielt die Zustimmung durch die islamischen Religionsgemeinschaften, die Grundlagen der Religion in Münster zu vermitteln und angehende Lehrer auszubilden. Nun zeigt sich durch seine Verlautbarungen in Interviews oder Büchern allerdings, dass er von dieser Linie abkommt. Die Gefahr besteht, dass Khorchide die mit islamischen Gemeinschaften auf der Basis des Grundgesetzes – also bekenntnisorientiert und frei von staatlichem Einfluss – ausgemachten Spielregeln ignoriert.

Die vier im Koordinationsrat (KRM) zusammengeschlossenen muslimischen Religionsgemeinschaften, darunter auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland sind darüber ebenso besorgt. Wir bekommen täglich Briefe von unseren Gemeindemitgliedern, und auch Studenten aus Münster, die sich beschweren. Dort werden Inhalte beschlossen und Professoren bestellt – über die Köpfe der Religionsgemeinschaften hinweg. Münster agiert nicht entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben, wonach Lehrinhalt und Lehrpersonal in Abstimmung mit den Religionsgemeinschaften festgelegt werden sollten. Denn dies kann nur geschehen, wenn der Beirat, an dem die Religionsgemeinschaften beteiligt sind, funktionsfähig ist. Dies war er aber bis dato nicht. Wir haben uns bisher mit Kritik zu rückgehalten, aber man kann angesichts der Fehlentwicklungen nicht mehr einfach schweigen.

Zudem will der Leiter des Zentrums ja offenkundig diese Mitsprache auch noch ganz kappen, dies hat er jedenfalls mehrfach in Interviews gesagt und zudem spricht er den islamischen Religionsgemeinschaften theologischen Sachverstand ab. Das ist keine Grundlage für vertrauensvolle Arbeit. Sein Mandat ist explizit auf diese Zustimmung aufgebaut, weil bekenntnisorientierter Glaube vermittelt werden soll und keine Orientalistik. Zudem sieht die Verfassung vor, dass die Lehrerlaubnis durch die Religionsgemeinschaft begründet wird. Khorchides Vorstoß bedeutet im Umkehrschluss, dass er sich selbst diese Befähigung geben und alleiniger Master islamischer Rechtsprechung werden will. Es ist unhaltbar, dass solch ein Konsortium, das sich explizit gegen die Vorgaben des Wissenschaftsrates setzt, weiter Bundesgelder bekommt. Solche Vorstöße sind in der Öffentlichkeit vielleicht schick, weil sie gegen muslimische Verbände gerichtet sind. Sie gefährden aber nachhaltig den Standort Münster.

Der KRM wird zudem in Kürze ein Gutachten herausgeben, das ausgewiesene Theologen erstellen, in dem wir sachlich Punkt für Punkt seine sogenannte Theologie der Barmherzigkeit vor dem Hintergrund des reichen Fundus islamischer Geistesgeschichte genauer unter die Lupe nehmen. Der Islam ist in Deutschland vergleichsweise eine sehr junge Wissenschaft. Da brauchen wir Professorinnen (und auch Professoren), die zunächst einmal die reichhaltige Geistesgeschichte aufarbeiten. Und das heißt: Monografien und analytische Bibliografien sprachlich und kulturell in den deutschen Sprachraum zu bringen, also Grundlagenforschung inklusive terminologische Aufarbeitung. Vor dem Experiment kommt die Bestandsaufnahme, sonst bleibt das Experiment eine Luftblase. Im Bereich Monografien und Bibliografien haben bislang nur Orientalisten gearbeitet, die aber anders an die Texte herangehen als bekenntnisorientierte Wissenschaftler. Es geht mir überhaupt nicht um Linientreue oder so. Aber eine Jahrhundert alte Geistesgeschichte mit exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten plus Glaubensvermittlung lässt sich nicht platt in liberale oder konservative Kategorien einordnen. Das aber suggeriert, vielleicht ungewollt, Khorchide. Er „spinnt“ damit das ohnehin weit verbreitete Spiel des Böse-Muslim- gute Muslim: Hier der liberale, gemäßigte Reformer, oder dort die verbohrten, konservative bis extremen Verbände. Das kommt in Teilen der Gesellschaft vielleicht gut an, hat aber mit den Gegebenheiten der Realität nichts gemein.

Und eins muss jedem klar sein: Eine assimilierte Islamlehre raubt Deutschland und den jungen Muslimen die Chance die noch in den Kinderschuhen befindliche Islamische Theologie zu etablieren. Was nützt es, wenn man Theologie an der Mitte der Muslime vorbei betreibt, um die vermeintlichen Hoffnung die nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft zufrieden zu stellen? Damit verspielen wir nur das Vertrauen der muslimischen Mehrheit. Und machen wir uns nichts vor: Die Theologie lebt von Glaubwürdigkeit und dem Vertrauen der Gläubigen – umso mehr als das es im Islam keinen Kirchendogmatismus gibt. Dieses Vertrauen ist auch notwendig, weil die dort an den Lehrstühlen ausgebildeten Lehrerinnen und Imame ja später in den Gemeinden und Schulen auch arbeiten sollen.

Zudem befürchte ich, dass der gegenwärtige Vertrauensschaden in Münster die radikalen Ränder stärkt. Dies kann man jetzt schon an der Art und Weise der Proteste der Neo- Salafisten gegenüber Münster beobachten. Eine Person zum Ungläubigen zu erklären, was wir religiös rundweg ablehnen, ist Populismus und gleichsam hochgefährlich. Exkommunikation gibt es im Islam nicht und ich weise die in diesem Zusammenhang gebrachten „Anschuldigungen“ gegen Herrn Khorchide entschieden zurück. Er bleibt selbstverständlich unser muslimischer Bruder.

Aber in der Theologie, also einer Wissenschaft, muss man sich kritisch mit seiner wissenschaftlichen Arbeitsweise und seinen Thesen hinsichtlich deren Präzision, Intersubjektivität und Begründbarkeit auseinandersetzen dürfen. Dies ist das Rationalitätspostulat der Wissenschaft. Niemand ist unfehlbar, weder Khorchide noch die Theologen der muslimischen Religionsgemeinschaften – wir alle können durch sachlich vorgetragene Kritik nur voneinander lernen. Durch die Kritik aus der Community sehe ich daher auch einen Lernprozess bei allen. Dies stimmt hoffnungsvoll, denn es ist niemandem geholfen, wenn man Kritik als persönliche Kränkung versteht und sich dann in eine Opferrolle begibt. Der Besuch Herrn Gaucks kann daher viele Diskussionen diesem Bereich aufstoßen und dazu beitragen, dass das Ganze zu einem guten Ergebnis führt.

„Rechtlich ganz unerheblich“: Endloses Tauziehen am Islam-Zentrum der Uni Münster

Münster (KNA). Politik und muslimische Verbände in Deutschland sehen es als großen Fortschritt: An vier deutschen Universitäten wird inzwischen islamische Theologie gelehrt. So auch an der Universität Münster am „Zentrum für Islamische Theologie“ (ZIT). Doch während an katholischen und evangelischen Fakultäten die Kirchen über die Inhalte, Auswahl der Professoren und Prüfungsordnungen befinden, fehlt auf muslimischer Seite eine entsprechende Instanz.

Denn die muslimischen Organisationen sind bislang nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt. Im Münster soll deshalb ersatzweise ein von der Uni zu berufender Beirat diese Funktion ausüben. Doch bei der Besetzung des aus acht Personen bestehenden Gremiums hakt es gewaltig.

Der ZIT-Leiter, der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, wandte sich Anfang Oktober im Interview der Wochenzeitung „Die Zeit“ dagegen, dass die Lehrerlaubnis für die Professoren an Hochschulen wie auch für die muslimischen Religionslehrer an Schulen von gesetzlich vorgeschriebenen Kommissionen abhängt. „Eine amtliche Beurteilung, ob jemand religiös genug ist, gibt es nicht im Islam“, so Khorchide.

Zudem seien die Beiräte „überfordert“, über Lehrinhalte zu entscheiden, weil sie die theologischen Kompetenzen dafür nicht besäßen. Stattdessen schlägt Khorchide auf einem muslimischen Online-Dienst vor, dass die islamischen Lehrkräfte dem Beirat eine „Selbstverpflichtung“ vorlegen, in der sie ihre Glaubenstreue bekunden.

Diese Äußerungen veranlassten nun den Publizisten Eren Güvercin, seine Berufung in den noch gar nicht konstituierten Beirat abzulehnen. Güvercin, Autor des viel beachteten Buches „Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation“, zieht aus Khorchides Vorbehalten gegen den Beirat den Schluss: „Wenn die Uni-Theologie uns nicht braucht, dann brauche ich meine Zeit dafür auch nicht zu opfern.“

Rechtsprofessor Janbernd Oebbecke, Vater des Beiratsmodells in Münster, bedauert diesen Schritt: „Die theologische Kritik von Khorchide ist rechtlich ganz unerheblich. Die Entscheidung berufener Stellen der religiösen Gemeinschaft über Religionslehrer und Hochschullehrer ist eine verfassungsrechtliche Vorgabe, an der nicht zu rütteln ist.“

Bei der christlichen Theologie sind die Bischöfe und andere kirchenleitende Beamte für die Festlegung der Inhalte und des Lehrpersonals zuständig. Entsprechend müssen sich diese Kirchenvertreter schon bei ihrem Amtsantritt zum Grundgesetz bekennen. Im Falle der Islam-Beiräte überprüft indes der Staatsschutz im Auftrag der Bundesregierung die potenziellen Mitglieder auf ihre Verfassungstreue. Und prompt fielen wiederholt Kandidaten durch, die vom Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM), dem Dachverband der vier islamischen Verbände, vorgeschlagen wurden. Deshalb war schon vor Güvercins Rücktritt eine weitere Stelle unbesetzt. Wegen dieser Vakanzen ist der Beirat seit nunmehr fast zwei Jahren noch kein einziges Mal zusammengetreten. Der KRM will sich dazu derzeit nicht näher äußern.

Obwohl sich der Beirat noch nicht konstituiert hat, läuft der Lehrbetrieb in Münster bereits – mit Millionen-Zuschüssen des Bundes. Diese Zuschüsse würden aber gestoppt, so ein Sprecher des Bundesbildungsministeriums, wenn mutmaßlich extremistische Personen im Beirat mitarbeiten würden. Er bekundete die Hoffnung, dass sich bis Ende 2013 ein akzeptabler Beirat konstituiert hat.

Die Bundesregierung fördert insgesamt vier universitäre Islam-Zentren: außer in Münster (mit der Uni Osnabrück als selbstständigem Kooperationspartner) noch in Erlangen, Tübingen und in Frankfurt/Gießen (im Aufbau). Ihre Beiräte sind ganz unterschiedlich organisiert. In Münster kommt den islamischen Verbänden die stärkste Rolle zu; ohne ihre Zustimmung kann niemand Mitglied im Beirat werden. In Osnabrück entsenden Moscheeverbände drei Mitglieder, drei weitere benennt die Uni. Ähnlich ist es in Tübingen. Dagegen besteht der Beirat in Erlangen aus verbandsunabhängigen Persönlichkeiten, die die Uni selber auswählt.

Das Nebeneinander alternativer Beirats-Konstruktionen beweist vor allem dies: Die religionsverfassungsrechtlich „beste“ Lösung für das Zusammenspiel zwischen islamischer Theologie und staatlicher Hochschule ist noch nicht gefunden – vor allem dann nicht, wenn der Berufungs-Modus wie in Münster zur Blockade führt.

Der Verfassungsschutz auf „islamistischen“ Abwegen. Wenn Behörden Muslime stigmatisieren

(Deutschlandradio). Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll seine Arbeits­weisen überdenken. So will es der neue Präsident Hans-Georg Maaßen. Die deutschen Muslime hören diese Ankündigung wohl, aber nehmen sie mit Skepsis auf. Denn sie haben die Erfahrung machen müssen, dass Verfassungsschützer nicht etwa aufklären, sondern das muslimische Leben in Deutschland beeinflussen – einseitig und überhaupt nicht positiv.

Erst recht ist das Vertrauen in die Sicher­heitsbehörden enttäuscht, seit bekannt wurde, dass eine Serie von Fahndungspannen verhindert hat, die Morde der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) frühzeitig zu stoppen. Stattdessen verdächtigte die Polizei viele Jahre lang die Opfer und ihre Familien, Mittäter in einem kriminellen Milieu zu sein. Während der Verfassungsschutz im Bund wie in den Ländern geheimniskrämerisch die Strafverfolgung hintertrieb.

Und kürzlich berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ von einem lange schwe­lenden Konflikt im Bundesamt, der sich an islamfeindlichen und rassistischen Äußerungen entzündet habe. Sie werden ausgerechnet Mitarbeitern angelastet, welche die islamische Gemeinschaft zu beobachten haben.

Verfassungsschutzberichte markieren Muslime und deren Gemeinden nicht selten als „islamistisch“. Der Begriff ist so verbreitet wie unbestimmt. Über ­seine Deutung bestimmen Behörden und Islam­kritiker, nicht die Muslime selbst. Er stellt sie unter einen Generalverdacht, der weder bewiesen noch widerlegt werden kann. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und viele andere etwa leiden seit langen Jahren unter dieser „Herrschaft des Verdachts“.

Als „islamistisch“ könnten streng gläubige Muslime angesehen werden. Ihre Koranauslegung, ihre Lebensweise und ihr Wertekanon mögen nicht in die Moderne, in die westliche Gesellschaft passen. Aber heißt dies, dass sie deswegen gleich unfriedlich und gefährlich sind, vielleicht gar Extremisten, die Gewalt predigen und anwenden, außerdem Recht und Demokratie ablehnen? Das könnte so sein. Aber dann müsste ­ihnen dies auch konkret vorgehalten und nachgewiesen werden.

Muslime gehen gesellschaftlich einen ebenso weiten Weg, wie es vor ihnen evangelische und katholische Christen in Deutschland taten. Auch sie lebten und leben noch immer mit doppelten Standards, mit den religiösen in ­Familie und Gemeinde, mit den öffentlichen in der Politik. Gerade aus diesen Erfahrun­gen heraus sollte Muslimen, die um ihre Identität ringen, geholfen werden, sich in das demokratische Gemeinwesen allmählich hineinzufinden, anstatt ihnen Steine aus Vorurteilen in den Weg zu ­legen.

Das amtliche Verdikt, „islamistisch“ zu sein, wirkt verheerend in der Öffentlichkeit und grenzt aus. Journalisten beispielsweise übernehmen es gern, ohne eigene Recherchen anzustellen. Und auch viele Muslime lassen sich infizieren und distanzieren sich von so bezeichneten Moschee-Vereinen und Verbänden.

Das provoziert Gegenwehr. Dadurch haben Gruppen und Personen etwa aus dem salafistischen Milieu, die in der Tat extremistisches Gedankengut transportieren, einfaches Spiel – besonders ­unter jungen Muslimen. Noch weniger hat es mit einem säkularen Staatsverständnis zu tun, wenn Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter in der politischen Bildung unterwegs sind, als Islamismus-Experten vor pädagogischen Lehrkräften auftreten und über die „Grundlagen des Islams und muslimischen Lebens in Deutschland“ referieren. Es wäre wohl besser, sie überließen dies anderen.

Von Beamten und Behörden wird dagegen erwartet, dass sie differenzieren, die Mehrheit der Muslime davor schützen, mit einer problematischen Minderheit verwechselt zu werden. Wird etwa den Kirchen angelastet, wie viele Christen im kriminellen Milieu zu Hause sind? Denn so, wie der Begriff „islamistisch“, gebraucht wird, bezeichnet er nicht isla­misches oder religiöses, sondern kriminelles Verhalten.

Der Artikel wurde zuerst am 16.04.2013 als Audiobeitrag für das Deutschlandradio ­verfasst.

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Ein Jahr nach Aufdeckung der Zwickauer Zelle: Die Entnazifizierung brauner Gedanken ist möglich

(iz). Für die einen sind sie Märtyrer. Für die anderen nur die Spitze eines Eisbergs und nur das, was von den rechtsextremistischen Umtrieben sowie der braunen Unterwanderung einiger Behörden offen […]

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Die Radikalen als Handlanger: Zur Großwetterlage in Sachen Verfassung

(iz). Im neuen SPIEGEL schreibt Cordt Schnibben unter dem Titel „Die Gewalt der ZINSEN“ über eine neue Politik, die von Gläubigern – nicht von Bürgern – bestimmt wird. Der Buchautor stellt damit die letzte Frage an unsere demokratische Verfasstheit: „Kann es sein, dass unsere Staaten die Finanzmärkte nie mehr unter Kontrolle bekommen?“ Es sind Autoren wie Schnibben – weniger staatliche Behörden – die heute zeitgemäßen Verfassungsschutz betreiben.

Die Befreiung der Finanzmärkten von den Einschränkungen begrenzter Geldmengen hat nicht nur ein neues Finanzsystem, sondern auch eine „Conditio humaine“ gestiftet, die von der alten Idee der politischen Souveränität des Volkes wegführt. Es gab keinen „offiziellen“ Verfassungsschutz in Deutschland, der diese Gefahr aus dem ökonomischen Feld und die Erosion unserer Demokratie etwa kritisch begleitet hätte.

Philosophisch betrachtet ist die nun herrschende Gewalt der Finanztechnik ein weiterer Beleg dafür, dass die modernen Techniken der Machtsteigerung mitnichten in die Freiheit führen. Das ökonomische Modell hat nicht nur eine ungeheure Integrationskraft, sondern eine Form angenommen, die entweder politische Entwürfe neutralisiert oder sie sich zu Nutze macht. Der Verfassungsschutz der Bundesrepublik ist eine politische Instanz, die auf dem ökonomischen Auge blind ist. Die Funktion des leeren Extremismus dieser Zeit ist es, den Staat zum Ausbau dieser Sicherheitsstrukturen zu reizen.

In der WELT findet sich heute ein Interview mit dem neuen Chef des Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen. Seine Behörde widmet sich den bekannten Formen des politischen Extremismus, der sich heute angeblich anstellt, unsere Verfassung auszuhebeln. Wir können beruhigt sein, denn ein beachtlich anschwellender Apparat stellt sich dieser Gefahr entgegen.

Hier geht es auch weniger um den allgemeinen Verfassungsschutz, dann müsste die Behörde ja auch die Netzwerke von Bankiers und Investmentbanker beobachten, als um die von Jedermann willkommene Aufklärung politisch motivierter Straftaten. Im Falle des Rechtsterrorismus hat man dabei trotz des Aufgebots modernster Sicherheitstechnik versagt.

Hier stellen sich viele konkrete Fragen, denen das handzahme Interview in der WELT aus dem Wege ging. Inwieweit sind V-Leute mehr als nur Informanten, ab welchem Zeitpunkt sind sie auch Anstifter, gar Organisatoren? Inwieweit könnten extreme Gruppen – bei entsprechender Anweisung der Verbindungsleute – quasi ihre eigene Auflösung beschließen?  Was ist die Rolle dieser V-Leuten im Bereich des Islamismus? Welche Hassprediger waren und sind Zuträger der Behörde?

Nur wenn man diese Fragen aufmerksam stellt und die Gefahren nüchtern einordnet, kann man auch die Großwetterlage in Sachen Verfassung verstehen.

Kommentar: Behörden die im Dunklen agieren. NSU Serie bleibt unaufgeklärt

(iz). Vor einem Jahr töteten sich in einem grausigen Fanal zwei Rechtsterroristen in Zwickau. Eine mutmaßliche, weitere Täterin verwischte recht oberflächlich einige Spuren und stellte sich anschließend der Polizei. Nachdem […]

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Basilikumsoße mit Paprika, Gewichtsverlust und Reichtum: Das sind die aktuellen Merkmale eines „Islamisten“. Von Yasin Bas

Hannover ( iz). Mit einer „Ermittlung von Radikalisierungsmerkmalen“ möchten einige Behörden der Gefahr des bösen, gemeinen, gefährlichen und allumfassenden „islamistischen Extremismus“ entgegenwirken. Die „Islamisten“ lauern überall. In der Nachbarschaft, auf der Arbeit, beim Einkaufen, im Restaurant, in der Schule ja sogar im Kindergarten. Sie sind so gefährlich, dass man sie nur sehr schwer erkennen kann. Sie besitzen übernatürliche Kräfte und können sich tarnen. Doch jetzt gibt es das Konzept von „Superman Schünemann“.

Obwohl einige muslimische Verbände schon lange in einem engen „Dialog“ und der „Kooperation“ mit den Sicherheitsbehörden stehen und bereits „vertrauensbildende Maßnahmen“ und Maßnahmen zum Ausbau der „Präventionspartnerschaften“ vorgelegt haben, ist es noch nicht genug. Die Ergebnisse sind nicht zufrieden stellend. Es werden kaum „Islamisten“ gemeldet. Wo sind die „Islamisten“? Wer hat sie gesehen? Auch die „Clearingstellen“ bekommen noch zu wenig Hinweise aus der Bevölkerung. So geht das nicht. Irgendwo müssen die hinterhältigen und millionenfach bei uns lebenden „Islamisten“ ja sein. Diese bösen, unverschämten, massenhaft eingewanderten und sich ungehörig schnell vermehrenden „Islamisten“. Diese „Islamisten“, die sich in unserer Gesellschaft einfach so, frech eingenistet haben und unsere verfassungsmäßige, freiheitliche Rechts- und Grundordnung bedrohen, sind einfach nicht auffindbar.

Nach dem im Frühjahr 2012 bekannt gewordenen Konzept des niedersächsischen Amts für innere Angelegenheiten sollen die sog. „Kooperationsgespräche“ auch auf Organisationen ausgeweitet werden, deren Schwerpunkte nicht im religiösen Bereich liegen. Im Klartext heißt das: Jeder redet mit jedem oder auch: Basilikumsoße mit Paprika. Die genannten „Partnerschaften“ sollen auf Justizbehörden, insbesondere Justizvollzugsanstalten und Staatsanwaltschaften übergreifen. Außerdem  sollen Schulen und Jugendbehörden (Bildungseinrichtungen, Jugendbehörden und Jugendeinrichtungen), Ordnungs-, Einwohnermelde- und Ausländerbehörden, Arbeitsämter, Sozialämter, Finanzbehörden und islamische Verbände und Moscheen in die Präventionskooperation eingebunden werden. „Bei der Zusammenarbeit mit anderen Behörden sollen deren Mitarbeiter für Auffälligkeiten sensibilisiert werden. In Einzelfällen sollen Kooperationspartner auch Informationen über betroffene Personen austauschen, um dem Radikalisierungsprozess entgegen wirken zu können. Teil dieses Netzwerks zur Prävention sollen auch Wirtschaftsunternehmen sein. […] Auch Firmen sollen für eventuelle politisch-islamistische Radikalisierung ihrer Mitarbeiter sensibilisiert werden“, schreibt eine deutsche Zeitung. Nicht nur Lehrer, Juristen, Jobberater, Finanzbeamte, sondern auch Arbeitgeber und Arbeitskollegen, sollen also neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch weitere detektivische Arbeit verrichten. Endlich mal wieder ein wenig „Action“ im sonst so tristen Büroalltag der Beamten und Angestellten. So kann endlich auch das Sommerloch sinnvoll gestopft werden. Auch die Menschen in den schweren Produktionsstätten, monotonen Bandanlagen sowie der Industrie dürften dem Ministerium über ein wenig Abwechslung dankbar sein.

Der „niedersächsische Superman“ und seine Behörde haben nach Informationen der Internetnachrichtenplattform „MiGAZIN“ bereits vor Monaten einen Merkmalskatalog für potentielle radikale Muslime erstellt. [Die IZ berichtete ebenfalls vor zwei Monaten] Der bislang unveröffentlichte „Abschlussbericht der Projektgruppe Antiradikalisierung“ weise dreißig Radikalisierungskriterien auf. Dazu zähle beispielsweise eine „längere Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung“. Das hieße, dass die in Deutschland lebenden etwa 4,5 bis fünf Millionen Muslime, die in den nahenden Sommerferien eventuell in ihre Herkunftsländer fahren könnten, potentielle, extrem radikale, gefährliche „Islamisten“ und Terroristen sein könnten. Ähnlich dürften demnach Muslime in Deutschland eingeschätzt werden, die beabsichtigen, in wenigen Wochen die Pilgerfahrt nach Mekka und Medina durchzuführen. Auch diese Damen und Herren könnten als „potentielle Dschihadisten“ angesehen werden.

Ein überlegenswerter Vorschlag könnte daher sein, die Kaaba nach Berlin oder Köln, noch besser nach München oder Nürnberg zu holen. Erstens könnten dadurch die Muslime in Deutschland „deradikalisiert“ und integriert werden und was gerade zur Zeit der Schuldenkrise noch gewichtiger ist: Deutschland könnte als Touristenmagnet Milliarden von Devisen und wertvolle Petrodollars einnehmen. Religionstourismus hieße das, nicht Religionsterrorismus. Daher die Bitte an die Behörden, nicht alles in einen Topf zu werfen. Auch die Kanzlerin würde endlich wieder ihr Lächeln zurückbekommen. Die Bürger sind verunsichert, dass ihre Staatsführung kaum noch lächelt und die Mundwinkel immer weiter runterhängen.

Neben dem „Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung“ sollen die Behörden in ihrem Bericht „sichtbare äußere Veränderungen (Kleidung, Verhalten, Gewichtsverlust durch veränderte Essgewohnheiten etc.)“ als Gefährdungsmerkmale auflisten. Eine Muslima mit Kopftuch hat daher von Anfang an schlechte Karten. Auch wenn sie die Kopfbedeckung möglicherweise gar nicht aus religiösen, sondern aus traditionell-kulturellen oder modischen Gründen trägt. Nicht wenige Frauen tragen Kopftuch und dazu eine hautenge Hose oder einen kurzen Rock. Die Muslime, die etwa Halal-Lebensmittel einkaufen oder verzehren, die mit der rechten Hand essen oder dem rechten Bein einen Raum betreten könnten nach dieser „Weisheit letzter Schluss“ ebenso scheinheilige „Staatsgefährder“ sein. Denn diese Merkmale lassen sich als Beispiele unter den Begriffen „veränderte Essensgewohnheiten“ und „Verhaltensweisen“ subsumieren. Ein anderes Merkmal für einen „potentiellen Terroristen“ – die Behörde spricht von „Gewichtsverlust“ und „Diät“ – könnte das Fasten im Ramadan sein. Nicht das jetzt einige auf die Idee kommen, die muslimische Glaubenspflicht, das Fasten im Ramadan, dankbar aufzugeben, damit sie nicht in das Visier des Staats- und Verfassungsschutzes geraten.

Manche staatstreuen Muslime könnten auf Schonkost umsteigen, um die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu festigen. Andere wiederum könnten denken, dass das Fasten und ihr Gewichtsverlust die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland unwiederbringlich vernichten könnte. Damit dies nicht passiert, könnte man Gelehrte oder gleich die Al-Azhar Universität in Kairo nach einem Rechtsgutachten bitten, dass den Muslimen – aber nur in Deutschland – das Fasten verbietet. Sozusagen ein schariakonformes Gutachten only for Gemany. Ob dann aber die Gewichtszunahme und die dadurch entstehenden Mehrkosten für das Gesundheitssystem die Verfassung bedrohen, ist eine andere Frage. Man müsste dazu noch bedenken, dass eine Ausnahme des Fastens in Deutschland, Migrationsströme aus „fremden Kulturen“ bedeuten würde.

Deutschland wäre dadurch ein Paradies auf Erden für die Muslime aus aller Welt. Halt: Paradies hört sich verdächtig an. Auch wenn das Wort „Jungfrauen“ fehlt, bitte ich dieses Wort zu streichen, um nicht als „potentieller Gefährder“ zu erscheinen. Möchte der niedersächsische Superman wirklich dieses Risiko eingehen? Auch die bunten Magazine im Zeitschriftenhandel könnten bald in das Visier des Verfassungsschutzes geraten. Jede Woche gibt es zahlreiche Diättipps in hunderten von Zeitschriften, die konsequent verboten werden müssten. Die großen deutschen Verlage wären von diesem Eingriff existentiell bedroht. Daher ein guter Rat an Emma, Tina, Petra und Laura: Mädels, ab heute bitte keine Diätseiten und Kochrezepte mehr in euren Heften. Ist das machbar? Wo wir schon vom Superman sprachen. Ist es Möglich, dass er vielleicht selber zum Islam konvertiert sein könnte? Denn bei ihm konnte vor einiger Zeit – die Fotografen können dies bezeugen – „sichtbare äußere Veränderungen“ festgestellt werden. Der Niedersachse trug plötzlich einen Bart. Das ist doch eine ganz klare „sichtbare äußere Veränderung“? Die Behörde, wäre sie ernsthaft und linientreu, wäre dadurch angehalten, den eigenen Hausherren ins Visier zu nehmen. Mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln, ja auch mit Fotoapparat, sollte Superman ab jetzt beobachtet werden, damit festgestellt werden kann, ob noch weitere „sichtbare äußere Veränderungen“ dazukommen. Dann hätte man nämlich endlich mal einen „Schläfer“, wie etwa jenen der vor kurzem in Duisburg-Essen vom Polizeidienst entlassen wurde, enttarnt.

Als ein weiteres Radikalisierungsmerkmal von Muslimen sollen die Sicherheitsdienste außerdem laut MiGAZIN-Informationen „plötzlichen Geldsegen“ ausgemacht haben. Oh nein. Scheich Abdel Ben Malik Abdel Aziz Ben Jabber Al Hakimi und seine Verwandschaft in Osterode, der in Katar und Dubai reiche Verwandte hat, muss alle verwandtschaftlichen Beziehungen in sein Land beenden. Die Familie, die mit Ölgeldern ein Vermögen macht, gilt als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Es wäre besser, wenn ab jetzt alle Muslime, den Wunsch nach Reichtum und Geld ablegen und sich dem Beten sowie Hilfsjobs in der Industrie, Haushalts- und Reinigungsbranche widmen. Erfolgreiche und reiche Muslime sind nach dieser Logik ohnehin eine Gefahr für die innere Sicherheit.

Zu bedenken sind auch die unendlich vielen „Islamisten“, die aus religiöser Überzeugung und Praxis die besten Poker- und Glücksspieler sind. Auch sie rücken damit unweigerlich in den Blickpunkt der Ermittler. Die muslimischen Jugendlichen in Wettstudios, besonders jetzt in der Zeit der Fußball-Europameisterschaft, sollten unbedingt ihre Wetteinsätze überdenken, um nicht als „islamistische Terroristen“ und „Dschihadisten“ gebrandmarkt zu werden. Muslimische Geschäftsleute, Finanzdienstleister, Börsenspekulanten, Gold- und Schmuckhändler sollten am besten ihre Arbeit aufgeben oder zumindest darauf achten, nicht zu viel Geld zu verdienen. Auch die Bittgebete nach materiellem Reichtum und Geld, sollte am besten ganz eingestellt werden. In der Kommunikation mit Gott darf Geld aus diesem Grunde leider keine Rolle mehr spielen.

Ganz schlimm trifft es auch die muslimischen Bewunderer von Bruce Lee und Muhammad Ali. Laut Behörden ist nämlich ein „Besuch eines Kampfsportvereins“ ein weiteres, unglaublich sachliches und weitsichtiges Kennzeichen für einen potentiellen „Islamisten“. Die Kampfsportschulen, die demnach als „Brutstätten des Terrors“ angesehen werden müssten und deren Ausbilder die neuen „Hassprediger“ sein müssten, sollten unverzüglich aus Deutschland ausgewiesen werden, um das herrschende „Klima der Angst“ nicht noch weiter aufzuheizen. Willkommen in Deutschland. Willkommen bei Freunden!

Kommentar: Das Spektakel gegen den „Salafismus“ hinterlässt gemischte Gefühle. Von Khalil Breuer

(iz). Nach den eher diesseitig orientierten „Hells Angels“ bekommen nun Gruppen, die dem Salafismus zugerechnet werden, Besuch von Staatsorganen und geladenen Medien. Spektakel hin oder her, zunächst kommt hier nur eine rechtliche Binsenweisheit zum Tragen: Wer in Deutschland zu Straftaten aufruft, sie ausübt oder an solchen beteiligt ist, wird einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Bis zum Ermittlungsergebnis gilt die Unschuldsvermutung, egal ob man Helm oder Gebetskappe trägt.

Radikale Salafisten, die zu Gewalt aufrufen oder etwa Selbstmordkommandos verherrlichen und keine Staatsbürger sind, müssen zu Recht mit Strafen und Ausweisung rechnen. Ihre ­obskuren Positio­nen werden nicht nur von einer überwäl­tigenden Mehrheit der islamischen Gelehrten, sondern auch von nahezu 100 Pro­­zent der Muslime im Lande abgelehnt. Und das ist auch gut so. Noch immer steht eine überwältigende Mehrheit der Muslime in der Mitte und meidet die Extreme des Glaubens oder Unglaubens.

Wer auf der anderen Seiten in Übersetzungen des Qur’ans verteilt, mag damit der islamischen Sache schaden oder auch nicht; sicher begeht er damit aber keine Straftat. Wer mit schlichter Rhetor­ik ins Paradies einlädt oder sonstige Glaubensüberzeugungen vertritt, bewegt sich inhaltlich voll im Rahmen unserer Rechts­ordnung. Weder Sozialrecht, Gesundheitsrecht oder Baurecht stehen – mit guten Gründen – unter dem Vorbehalt ­einer politischen Gesinnungsprüfung. Kon­sequent weiter gedacht heißt das auch: Auch die Gruppe Pro-NRW muss ihren Stuss öffentlich vertreten dürfen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.

Diese Fakten sind klar und sie müssen verteidigt werden, auch dann, wenn man – wie diese Zeitung – den Salafismus seit ihrem ersten Erscheinen kritisch ­begleitet. Es geht schlussendlich genau um diese inhaltliche Auseinandersetzung, den Nachweis zu führen, dass der Salafismus keine besonders konsequente Glaubensausübung ist, sondern in weiten Teilen eine moderne Irrlehre. Nur so ­verhindert man die Schaffung eines Opfermythos und nur so kann man öffentlich trennen zwischen dem, was Muslime tun oder vertreten mögen und, was der ­Islam selbst ist. Einfache Logik: Es mag Muslime ­geben, die Banken ausrauben oder Geld stehlen, aber es gibt keinen islamischen Bankraub oder Diebstahl.

Beunruhigend ist gleichzeitig die anhaltende Vermischung der Begriffe ­unter dem unbestimmten Begriff des „Islamismus“, die Kriminalisierung einfacher Orthodoxie, die gleichzeitige Nennung von Gläubigen und Orthodoxen mit Verbrechern und Mördern. Kurzum: die Verwässerung der Debatte. Uns Muslimen muss an Differenzierung gelegen sein; auch dann, wenn wir nur über ­bescheidene Mittel verfügen. Unsere Vertretungen sind ja leider verstörend passiv und wenig kreativ, sichtbare Zeichen zu setzen.

Neben der Differenzierung geht es auch um die Rationalisierung der Debatte. Hundertschaften von Stadtindianern aller Couleur mögen ein schlimmes Ärgernis für die Demokratie darstellen, sie sind aber keine Bedrohung der demo­kratischen Ordnung. Sie sind die politi­schen Dinosaurier einer anderen Zeit. Ganz real ist die Ordnung von über 80 Millionen hier lebenden Menschen durch eine entfesselte Ökonomie bedroht.

Viele Muslime haben Angst, dass sie ohne Differenzierung und eine Rationalisierung der Debatte um den Islam in anstehenden Krisenzeiten endgültig zu Sündenböcken werden könnten.

Meinung: weiterführende Überlegungen von Zeycan Çetin über den Salafismus in Deutschland und seine politischen Folgen

“Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen” (Niccolò Machiavelli, florentinischer Staatsphilosoph und Dichter)

(iz). Salafisten (Salafi) machen nicht erst seit der Koranverteilaktion auf sich aufmerksam. Die Bewegung existiert schon seit langen Jahren in Deutschland. Wieso aber wird erst jetzt so ausgiebig über diese Gruppierung berichtet? Wieso stürzen sich Politiker, Behörden und Medien gerade zu diesem Zeitpunkt so öffentlichkeitswirksam auf das Thema?

Bereits in den 1990er Jahren, insbesondere während und nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien bildeten sich in immer mehr deutschen Städten salafistische Zirkel. Interessanterweise spielten auch einige Protagonisten der Kriege auf dem Balkan (sowohl des Bosnien- als auch Kosovokriegs) keine unbedeutenden Rollen beim Aufbau der salafistischen Gemeinden. Süddeutschland, vor allem Baden-Württemberg mit ihren Städten Freiburg, Heidelberg und nicht zuletzt Ulm/Neu-Ulm, scheinen schon in den 1990ern als Pilotregionen ausgewählt worden zu sein.

Aus dieser Region bereitete sich die Bewegung bekanntermaßen rasch in die gesamte Republik aus. Von hier stammten auch die vermeintlichen Inspiratoren und Mentoren der Szene. Hier wurden daher auch die konspirativen Begegnungsstätten wie der „Islamische Verein Ulm“, das „Multi-Kulturhaus“ (MKH) oder das „Islamische Informationszentrum“ (IIZ) – von Dritten unterstützt – aufgezogen. Nicht zuletzt betätigten sich in diesen Zirkeln zahlreiche V-Leute und Mitarbeiter verschiedener Nachrichtendienste.

Der Journalist und Autor Jürgen Elsässer enthüllt die Donau-Doppelstadt Ulm/Neu-Ulm in seinem Werk: „Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“ als Einsatzgebiet dieser Dienste: „Wer dort nach 9/11 zu Allah betete, geriet nicht nur in das Visier deutscher Staatsschützer, sondern auch ihrer US-amerikanischen Kollegen.“ Daneben sollen in Ulm auch ägyptische-, saudische- marokkanische- und israelische Geheimdienste um „islamistische“ Informanten geworben haben.

Weiter schreibt Elsässer, dass die Stadt „seit Ende der neunziger Jahre vom Verfassungsschutz gezielt zu einem ‘Honigtopf’ aufgebaut wurde, um militante Islamisten anzulocken, auch als Rekruten [!] für die Dienste.“ Der Publizist zitiert in diesem Zusammenhang auch einen Informanten, der folgendes zu Protokoll gibt: „Es geht dem Verfassungsschutz schon seit Jahren darum, Verdächtige aus einem größeren Umkreis nach Ulm zu locken. Dort wurden sie einerseits radikalisiert, andererseits als V-Leute gewonnen. Das war offensichtlich überhaupt kein Widerspruch für Staatsschützer.“

Interessant wird es, wenn man nachliest, wie wichtige Personen und „Organisator[en] des süddeutschen Islamisten-Netzes“ auf Drängen von Dritten nach Ulm und in die „Begegnungsstätten“ wie das Multi-Kulturhaus kamen. So zog beispielsweise Yehia Yousif, ehemaliger Unterstützer von muslimischen Kämpfern im Ex-Jugoslawien-Krieg und Schlüsselperson bei der Radikalisierung von vermeintlichen „Islamisten“ und von Juli 1996 bis März 2002 auch Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, im Oktober 2000 von Freiburg nach Ulm, um die „Salafisten-Szene“ weiter zu konstruieren.

Yousif, der 1988 aus Ägypten nach Deutschland auswanderte, promovierte 1994 an der Universität Freiburg im Fachbereich Medizin. Er lieferte seinen Auftraggebern Indizien, die gegen das MKH, wo er selbst als Prediger tätig war, verwendet wurden, was Elsässer im Gespräch mit dem Anwalt des MKH aufdeckt. Den Anwalt Christoph Käss erinnere die ganze Geschichte an das NPD-Verbotsverfahren, wo viele Beweise überhaupt von V-Leuten produziert worden seien. Wie widersinnig ist es, möchte man sich fragen, dass jemand im Auftrag von Dritten kriminell operiert und seine Handlungen den Behörden als Beweismittel für seine Bösartigkeit zur Verfügung stellt.

Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) in einem anderen Bezug über Spitzel: „Der Staat geht in die Irre, wenn er sich zu sehr auf solche Leute verlässt. Prantl, selbst ehemaliger Richter und Staatsanwalt, stellt zudem die Frage, die sich auch viele andere Menschen stellen: „Welchen Anteil an Straftaten hat der V-Mann? Hat er die Täter verleitet? Hat er sie zu den Taten angeleitet?“ Denn wenn dies so sein sollte, machen sich die Auftraggeber selber strafbar. Dann gibt es wieder viel Arbeit für Untersuchungsausschüsse und -kommissionen.

„Interessant“ sei für den Autor und Journalisten Eren Güvercin im Übrigen, „dass bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung von Yehia Yousifs Sohn, Omar Yousif, Unterlagen für die Herstellung des Flüssigsprengstoffs TATP gefunden wurden, mit dem später die Sauerland-Gruppe auf dilettantische Weise experimentiert“ habe. „Seltsamerweise wurde sowohl gegen Yehia Yousif als auch seinen Sohn kein Auslieferungsantrag gestellt, nachdem sie sich 2004 nach Saudi-Arabien abgesetzt hatten“, schreibt Güvercin in seinem kürzlich vorgestellten Werk: „Neo-Moslems. Portrait einer deutsche Generation“. Diese Dubiositäten verleiten Güvercin in seinem Buch zu der Frage und der danach folgenden Erkenntnis: „Wieso wird in den Mainstream-Medien bisher die Rolle des Hasspredigers Yousif, der gleichzeitig auch Informant des Verfassungsschutzes war, nicht hinterfragt? Yousif hatte entscheidend zum Erstarken salafitischer Gruppen beigetragen. Gleichzeitig war er aber auch Lohnempfänger des Verfassungsschutzes.“

Yehia Yousif, Reda Seyam und weitere wichtige Persönlichkeiten der salafistischen Szene haben nach diesen Feststellungen im Auftrag anderer Stellen für das Erstarken des Salafismus in Deutschland gedient. Die Personen, Organisationen und Wirkungsstätten sind beliebig austauschbar. Was in Ulm stattfand, kann heute genauso in Solingen, Hamburg, Bonn, Berlin oder Buxtehude stattfinden. Was früher die Aufgabe von Yehia Yousif und anderen Predigern gewesen ist, könnten heute Gans, Vogel, Fuchs und Adler übernommen haben. Was spricht dagegen, dass die Funktion, die früher beispielsweise das MKH, IIZ oder die „Sauerland-Gruppe“ spielten, heute Organisationen wie die „Internationale Dschihad Union“ (IJU), „Globale Islamische Medienfront“ (GIMF), „Islamische Bewegung Usbekistan“ (IBU) oder andere kleine und lokale Gruppen übernommen haben könnten?

Die Verteilung des Korans bringt Hebel in Bewegung
Im April 2012 wurden in zahlreichen deutschen Städten Gratisexemplare des Korans verteilt, wodurch der Salafismus (Salafiyya) urplötzlich zu einem „Mainstreamthema“ avancierte. Der zeitliche Kontext dieser Aktion, kurz vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und dem bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, ist nicht zu unterschätzen.

Die Nordrhein-Westfalen-Wahlen waren schon immer richtungweisend – auch für die Bundestagswahlen. Die konservativen Parteien benötigten daher jede einzelne Stimme, auch aus dem rechten Spektrum. Für sie ging es um alles oder nichts. Dass am Ende sogar der Spitzenkandidat und Vorsitzende seinen Hut nehmen musste und auch noch vor aller Öffentlichkeit von der Kanzlerin gedemütigt wurde, zeigt die Dramatik dieses Wahlkampfes, in der auch die rechtsgerichtete Pro NRW durch sensationslustige Provokationen auffiel. Außerdem wurde das Thema verdächtig kurz vor der Islamkonferenz zum Sieden gebracht. Politiker forderten – besonders von den muslimischen Verbänden – eine Distanzierung und Verurteilung der Salafisten.

Die kostenlose Verteilung von Koranexemplaren war bis heute in Deutschland weniger üblich. In der Regel haben Vereine oder einzelne Gruppen religiöse Literatur zum Kauf angeboten. Hinter der PR-trächtigen Verteilaktion soll ein wohlhabender Kölner Prediger und Geschäftsmann stehen, der zur Zeit, so berichtet eine große Boulevardzeitung, angeblich von Hartz-IV lebe. Der Mann heißt Ibrahim Abou-Nagie. Doch wer ist der neue Hauptdarsteller in diesem schlechten Film?

Khalil Breuer stellt in seinem Hintergrundbericht: „Der Polizist, der ein Salafist war!“ für die Islamischen Zeitung (IZ), zwei zutiefst denkwürdige Fragen: Hatte der durch die Koran-Verteilaktion bekannt gewordene Ibrahim Abou-Nagie eigentlich auch Kontakte zum Verfassungsschutz (wie er auf Youtube selbst behauptet)?“ und weiter: „Wie viele V-Leute gibt es denn in der salafitischen Szene?“ Ebenso große Beachtung verdient dieser Paragraph des Journalisten: „Ganz neu ist das strategische Interesse des Verfassungsschutzes an der Salafismus-Szene nicht. Schon in einem Artikel der FAZ vom 3.10.2010 über den Prediger Vogel wird auch die Einschätzung des Islamwissenschaftlers Müller vom Verfassungsschutz Stuttgart einbezogen. ‚Er tritt den gängigen Islam-Organisationen vors Schienbein’, wird Müller dort zitiert, denn ‚er ist ein spannendes Experiment, er bringt Bewegung in die Szene’.“

Das Ziel Abou-Nagies soll es sein, Millionen Exemplare des Korans in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu verschenken. Bis jetzt seien etwa 300.000 Exemplare verteilt. Sie seien eine Übersetzung von Mohammed Ibn Ahmas Rassoul und Abdullah Bubenheim. Die Behörden halten die Übersetzungen für neutral beziehungsweise nicht verfassungsfeindlich. Dennoch hat die Ulmer Druckerei Ebner & Spiegel die Auslieferung der Korane aufgrund der medialen Kritik eingestellt. Der Initiator der Verteilaktion Abou-Nagie, betreibe zudem die Internetplattform „Die wahre Religion“ (DWR), die im Bundesverfassungsschutzbericht 2010 dem politischen Salafismus zugeordnet wird.

Orientierung am „Urislam“
Der Salafismus ist nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ein Sammelbecken einer als „islamistisch“ bezeichneten Bewegung in Deutschland. Nach Schätzungen von Sicherheitskreisen sollen der Bewegung etwa 3.000 bis 5.000 Personen angehören.

Der Terrorismusexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Guido Steinberg, geht dagegen von fast 10.000 Anhängern der Gruppe aus. Insgesamt gebe es in Deutschland etwa 130 gewaltbereite „Gefährder“. Nicht alle davon, lediglich „zwei Dutzend“ seien der salafistischen Szene zuzuordnen. Ziel von Salafisten sei laut Sicherheitsbehörden die Gründung eines islamischen Staats, in dem wesentliche Grund- und Menschenrechte keine Geltung haben sollen. Die Bewegung soll im 19.Jhd. in Ägypten entstanden sein und orientiere sich an einer wortgetreuen Koranauslegung sowie einem Urislam ohne jede theologische Entwicklung.

Andere Beobachter weisen auf die engen Parallelen zwischen dem Salafismus und dem saudi-arabisch dominierten Wahhabismus hin. Heute werden beide Strömungen, die als ultrakonservativ gelten, im Sprachgebrauch gleichbedeutend verwendet. Moderne Medien und Kommunikationskanäle wie das Internet spielen nach Ansichten von Experten eine wichtige Rolle in der Propagandatätigkeit der Salafisten in Deutschland.

Daher richte sich die Arbeit der Bewegung nach Erkenntnissen von Sicherheitsbehörden besonders auf junge Muslime und Konvertiten in einer „schwierigen Lebensphase“. Auch junge Nichtmuslime sollen von den Salafisten, mit dem Ziel, sie zur salafistischen Strömung zu bekehren, umworben werden.

Zu den bekanntesten Mitgliedern der Szene zählen Pierre Vogel oder der Berliner Ex-Rapper Deso Dogg (Abou Maaliq). Die Bewegung, die in Solingen, Remscheid, Berlin, Bonn, Braunschweig, Mönchengladbach, Ulm und weiteren Städten im Bundesgebiet organisiert ist, steht unter einer intensiven Beobachtung der Dienste. Für zahlreiche Salafisten gelten Muslime, die nicht auf ihrer Seite stehen oder die Bewegung zumindest kritisch betrachten, als „Ungläubige“ (Kuffar). Sie sind daher nicht selten Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt.

Debatte breitet sich rapide aus und bedroht alle Muslime
Die Verteilaktion hatte sich nach dem Osterwochenende 2012 anfänglich zu einer Debatte über das heilige Buch der Muslime ausgeweitet. Das Thema wurde seitdem in den Medien intensiv diskutiert und weitet sich täglich mit neuen Meldungen wie ein Feuer aus. Im Zusammenhang mit den Mai-Kundgebungen, den Attacken auf Polizeibeamte in Solingen (1.Mai) sowie Bonn (5.Mai), Provokationen der rechtsradikalen Gruppierung Pro NRW und den Drohungen von „Islamisten“ auf der Videoplattform Youtube, werden die Anhänger der Salafiyya und damit instinktiv auch die übrigen Muslime pausenlos mit Gewalt, Radikalismus und des Sicherheitsrisikos in Verbindung gebracht.

So wurde wenige Wochen nach der Koranverteilaktion die Dosis der Nachrichten stetig erhöht. Zunächst gerieten Pro-NRW-Aktivisten und einige gewaltbereite Salafisten in Solingen aneinander. Ähnliches ereignete sich ein paar Tage später in Bonn. Dabei griffen einige Gewalttätige auch Polizisten an und verletzen diese – zum Teil schwer.

Kurz darauf folgte diese kuriose Meldung: Ein 31 Jahre alter Essener Polizeikommissar ist unter besonderen Umständen als Salafist aufgefallen und wurde Anfang Mai aus dem Polizeidienst suspendiert. Gegen Ali K. sei ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet worden, ihn aus dem Staatsdienst zu entlassen. Heinz Tutt vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass der Beamte im Jahr 2009 für sechs Monate auch für den NRW-Verfassungsschutz gearbeitet habe. Er sei bei einem mobilen Observationskommando eingesetzt gewesen und habe Extremisten ausspähen sollen.

Der Beamte mit Migrationshintergrund soll sich in seiner Freizeit für „radikale Islamisten“ engagiert haben. So habe er Infostände für salafistische Vereine angemeldet und sich an deren Aktivitäten beteiligt, bestätigte die Polizei. Ein „Salafist“ in den Reihen der Polizei und des Verfassungsschutzes: Ein Einzelfall?

Es vergeht mittlerweile kein Tag, wo nicht über Salafisten und so genannte „Islamisten“ gesprochen wird. Zudem haben sich zahlreiche Politiker, muslimische Funktionäre und Kirchenvertreter in die Debatte eingeschaltet. Fast täglich wenden sich Pressevertreter/innen mit Fragen an die muslimischen Verbände und verlangen nach Statements von Repräsentanten. Damit werden auch die islamischen Organisationen in Deutschland – bewusst oder unbewusst – mit in die Debatte um Extremismus, Gewalt und Terror eingespannt. Wissentlich?

Populistische Forderungen wirken destruktiv
Auch wenn jetzt einige Politiker danach rufen, die Personen, die Korane verteilen auszuweisen, sie noch strenger zu kontrollieren oder gar die Koranverteilung zu verbieten, wer soll denn ausgewiesen werden? Deutsche Konvertiten oder jugendliche Deutsche mit Migrationsbiographie, die hier geboren, hier sozialisiert, aufgewachsen und nicht zuletzt hier „geködert“ wurden?

Die Probleme, mit denen sich die Politiker, die jetzt nach harten Strafen, Verboten oder Abschiebungen rufen, sind nicht so klar und einfach, um sie mit Untersagungen oder Ausweisungen zu lösen. Zum Teil sind sie sogar hausgemacht. Die „Panikmacher“ (Patrick Bahners, FAZ) sind wieder im Scheinwerferlicht. Der Dauergast in spätabendlichen Talkshows, Bosbach, seine Kollegen Uhl und Innenminister Friedrich, der die Öffentlichkeit im Zuger der Publikation der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ bewusst getäuscht hat und verantwortlich für die Lancierung der Untersuchung an die Bild-Zeitung war (siehe Interview von Yasin Baş mit Ulrich Paffrath), übertreffen sich mit Vorschlägen.

Christian Bommarius von der „Frankfurter Rundschau“ (FR) spricht in dieser Hinsicht von „großmäuligen Forderungen“ und „schlechter Rhetorik“. Er sagt, dass Vereinsverbote „nicht nur das letzte Mittel im Kampf gegen extremistische Gruppen“, sondern im Fall der Salafisten auch „wirkungslos“ seien. „Deren Vereine lösen sich schneller auf, als ein Innenminister sie verbieten kann. Und was den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft betrifft, so verbietet ihn das Grundgesetz (Art. 16 Abs. 1).“ Da viele Salafisten in losen Strukturen oder in gar keinem Verein organisiert sind, bringen Verbote bedauerlicherweise wenig.

Außerdem: Eine Ausweisung, Ausbürgerung oder der Entzug der Staatsbürgerschaft hört sich zwar spannend an, erinnert aber eher an totalitäre und menschenverachtende Staatssysteme. Oder möchte ein Innenminister einen deutschen Salafisten von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern ausweisen? Bommarius hält es überdies für „gefährlich“, dass Politiker zwar von Salafisten reden, die deutsche Öffentlichkeit aber „Moslems“ versteht. So wird die große Mehrheit der Muslime – wieder einmal – unter Generalverdacht gestellt.

Kontrolliert außer Kontrolle
Zunächst einmal sollte die Problemgruppe besser erkannt werden. Es sind meist junge Menschen, unter ihnen auch viele mit durchaus guter Bildung, die in den Salafismus treiben. Für die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin sei der Salafismus nicht, wie viele denken, „von außen eingeschleppt“, sondern „ein Problem hier aufgewachsener Jugendlicher, die sich entfremdet, isoliert und unverstanden fühlen“ (zit. n. Jan Bielicki, Süddeutsche Zeitung).

Es sind in aller Regel deutschsprachige und deutsch sprechende Menschen, die auch in ihrer Freizeit deutsch sprechen. Es sind immer mehr deutschstämmige, also ethnische Deutsche, die der Bewegung angehören. Auch die „intelligenten“ Prediger sprechen nahezu fehlerfrei Deutsch. Beachtlich sind auch die fast fehlerfreien und sehr professionell erstellten Videobotschaften von einigen „Radikalen“. Sie sprechen in diesen Videos teilweise noch besser Deutsch als ein Germanist oder Literaturwissenschaftler.

Der Salafismus entfaltete sich und gedieh in seinen „jungen Jahren“ besonders in den deutschen Zentren in Süddeutschland, worauf anfangs eingegangen wurde. Heute ist die Bewegung in ganz Deutschland verbreitet. Momentan scheint etwas aus der Kontrolle geraten zu sein in Bezug auf den Salafismus in Deutschland. Oder sollte etwa etwas kontrolliert außer Kontrolle geraten?

Dantschke empfiehlt zumindest eine Doppelstrategie in der Angelegenheit. Sie fordert zum einen ein hartes Eingreifen und die konsequente Bestrafung von Gewalttätern. Zum anderen, das erscheint ihr wichtiger, fordert sie eine bessere Jugendarbeit in Kommunen, Jugendzentren, Schulen und Moscheen, um Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Prävention ist damit auch in der Jugendarbeit von zentraler Bedeutung.

Kostenlose PR
Eine so große mediale Aufbereitung des Themas, beginnend mit einer Verteilaktion des heiligen Buchs der Muslime über weitere Aktivitäten von Salafisten ist von Anfang an Wasser auf die Mühlen der Salafisten gewesen. Die Bewegung bekommt jetzt noch mehr Zulauf und gewinnt bei vernachlässigten Jugendlichen an Attraktivität. Ist das ein kalkuliertes Risiko?

Steffen Hebestreit vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ wies zu Recht auf ein Paradox hin und sagt, dass sich die Behörden „seltsam zwiespältig“ verhalten. Hebestreit übt dabei auch Selbstkritik, wenn er es als „seltsame Logik“ bezeichnet, dass vermeintliche „Einzeltäter“ erst durch das „mediale Echo“ auf den Salafismus oder Drohvideos aufmerksam (gemacht!?) werden. Die Kommentare der Behörden und Politiker sowie die großzügige mediale Aufbereitung des Themas, bringen nur noch mehr Aufmerksamkeit für die Aktivisten. Es ist eine kalkulierte und kostenlose Werbekampagne.

Die Verteilung des Korans scheinen zwar auch abendländische Untergangssorgen und Ängste zu befeuern. Im Nachhinein kann aber festgestellt werden, dass die Verteilaktion nur der Beginn einer neuen Sicherheitsdebatte gewesen ist. Kaum einer, der jetzt nach einem Verteilverbot für das heilige Buch ruft, kennt den Koran, hat ihn jemals gelesen. Sogar Innenminister Friedrich gab in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 31. März 2011 zu, noch nie im Koran gelesen zu haben. Vielleicht hat er es inzwischen – wegen seines Amtes oder als Gastgeber der Islamkonferenz – nachgeholt? Wenn die Menschen den Koran kennen würden, sähen sie die Parallelen zur Bibel und der Thora. Dann sähen sie, dass es weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den heiligen Büchern gibt.

Fehlende Gelassenheit auch Ausdruck von fehlender Souveränität?
In Deutschland und anderen Staaten der Welt werden „Wachttürme“ (Periodika der Zeugen Jehovas), Bibeln, Korane und weitere religiöse Schriften verteilt. Am aktivsten verbreiten christliche Missionare, Stiftungen und Verlage ihre „heiligen Schriften“ auf der Welt. In manchen Staaten werden sie daran gehindert. Wenn sie Glück haben, werden sie aus den jeweiligen Ländern ausgewiesen. Doch es kommt auch vor, dass sie gefoltert werden oder ihr Handeln mit ihrem Leben bezahlen. Warum? Weil sie das Wort Gottes verbreiten? Zum Glück gibt es in Deutschland die Religionsfreiheit. Aus diesem Grunde wäre es ratsam, gelassener, unaufgeregter, ja souveräner mit dem Thema umzugehen.

Der „Anti-Koran-Reflex“
Lucas Wiegelmann von der Tageszeitung „Die Welt“ bezeichnet das, was nach der Koranverteilung passierte, als einen „Reflex“. Er nennt es einen „Anti-Koran-Reflex“, das es in Teilen der deutschen Gesellschaft gebe. Er schreibt: „Jede Sekunde [!] verteilt der evangelische Gideonbund weltweit zwei Bibeln. Würde man die Bände stapeln, käme jede Stunde ein Turm in der Höhe des Big Ben (96 Meter hoch) heraus.“ Wiegelmann gibt zudem den Christen einen beschwichtigenden Rat mit auf den Weg: „Für Christen gibt es keinen Grund, die Konkurrenz der heiligen Bücher zu scheuen. Jeder wirkliche Gläubige geht ohnehin davon aus, dass seine Ansichten überzeugender sind als andere.“

Auch die Meinungsfreiheit garantiert den Menschen, Literatur zu drucken und zu verteilen, deren Inhalt sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Für Muslime ist es eine Pflicht, sich an die Verfassung und Normen der Gesellschaft zu halten, in denen sie leben. Demokratie, Rechtstaat und Grundrechte stehen nicht zur Debatte. Die islamischen Verbände, die im „Koordinierungsrat der Muslime“ (KRM) organisiert sind, haben das des Öfteren klar und deutlich verkündet.

Unglücklicherweise wurden diese, dem Frieden, gegenseitigem Respekt und der Toleranz dienenden Botschaften – im Gegensatz zu den jetzigen Negativereignissen – von den Medien nicht genügend registriert. Bibel- und Koranverteilungen sind das gleiche, solange sie nicht gegen die Verfassung verstoßen. Daher ist es schwer verständlich, dass es demokratische Politiker sind, die eine Verteilung als Akt verboten sehen möchten. Die Initiatoren oder Hinterleute der Aktion zu überwachen, zu kontrollieren und zu zähmen, ist eine ganz andere Frage als die der Verbreitung des heiligen Buches der Muslime.

Mordsserienskandal an Migranten gerät ins Abseits
Angemerkt sei noch, dass die schockierenden Enthüllungen der Nazi-Morde an neun Migranten und eine deutsche Polizistin durch diese Salafisten-Debatte überlagert wurde. Nach Bekanntwerden des Skandals, diskutierte Deutschland erst monatelang über Christian Wulff. Nun setzt sich die Öffentlichkeit abermals mit „gewaltbereite Islamisten“ auseinander.

Die NSU-Morde und das abartig organisierte Netzwerk dahinter, werden insofern erneut durch andere Themen ins Abseits gerückt. So verwundert auch diese Meldung aus den letzten Tagen nicht mehr sonderlich. Im Gegenteil, es fügt sich in das angesprochene perverse Bild: Die Polizei in Bayern suchte im Zuge der Mordserie an Migranten mit großem Aufwand nach „kriminellen Ausländern“ und nicht nach Rechtsterroristen.

Dafür betrieben die Ermittler eigens einen Dönerimbiss. Der Inhaber sei ein V-Mann gewesen, der absichtlich keine Rechnungen von Lieferanten bezahlte, um „kriminelle Ausländer“ anzulocken. Dies spricht für die Einseitigkeit der Ermittlungen. Zusätzlich melden die Nachrichtenagenturen, dass der Thüringer Verfassungsschutz einen als V-Mann arbeitenden Neonazi in den neunziger Jahren mehrmals vor Durchsuchungen der Polizei gewarnt habe. Es gebe vier bis fünf solcher Fälle, sagt Gerhard Schäfer, Vorsitzender der Kommission zur Untersuchung des Thüringer Behördenverhaltens rund um die Nazi-Terroristen.

Barbara John, die Ombudsfrau der Naziopfer sagt: „Dieser Wahnsinn hat Methode“. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass diese verbrecherischen Taten „Methode“ und „System“ haben, dann ist das Vertrauen vieler Menschen ins Rechts- und Gerechtigkeitssystem missbraucht. Die Enthüllungen aus dem Thüringer Untersuchungsausschuss deuten auf chaotische Zustände bei Justiz, Polizei und Diensten hin.

Kommunikationsdefizite und „Revierkämpfe“ sind nur die Spitze des Eisbergs. Peinlich ist jedoch eines: Noch immer gibt es niemanden, der Verantwortung für diese abscheulichen Taten übernimmt und von seinen Ämtern zurücktritt. Noch immer gibt es keinen, der eigene Fehler zugeben möchte. Ob die Untersuchungsausschüsse und Prüfungskommissionen daran etwas ändern werden, bleibt abzuwarten.