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Der KRM scheint vor der Auflösung – ist das Teil eines Problems, oder eher die Lösung?

(iz). Vor jeder Reflexion oder Kritik am organisierten Islam in Deutschland, muss natürlich für alle beitragenden Akteure zunächst die Selbstkritik stehen. Salopp gesagt, „nobody is perfect“ und es ist für den neutralen Beobachter immer leichter zu kritisieren, als selbst aktiver Teil einer positiven Lösung zu sein. Natürlich ist es aber auch für uns Muslime legitim, sich an den inhaltlichen Debatten zu beteiligen und auch öffentlich auf diverse Widersprüche hinzuweisen. Kein Verband darf sich heute noch ernsthaft über dieses Phänomen beklagen, gerade auch, weil sich viele Verbandsvertreter selbst inzwischen gerne in den Medien positionieren. Eine ganz andere Frage ist es, ob eine echte innerislamische Debatte – im Vergleich zum kühlen Austausch von Pressemitteilungen – immer noch der bessere Weg wäre, um gemeinsam auf dem Teppich zu bleiben.

Wer sollte aber so einen konstruktiven Austausch organisieren? Beinahe ironisch klingt es heute, wenn man hier zunächst an einen „Koordinationsrat der Muslime“ denken sollte. Mit diesem Anspruch, eine Vertretung der Muslime zu sein – und großen Hoffnungen – ist der KRM 2007 an den Start gegangen. Der erste KRM-Sprecher, Ayyub Axel Köhler, erklärte damals selbstbewusst der „Mitteldeutschen Zeitung“: „Wir vertreten viel mehr Leute, als bei uns Mitglied sind.“ Der damalige Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, pries ausdrücklich die „Handlungsfähigkeit“, welche die Muslime mit der Gründung des KRM bewiesen hätten. Das war gestern. Die Macher zeichnen sich in diesen Tagen eher durch Wortkargheit gegenüber ihrer eigenen Basis aus und klären kaum öffentlich auf, was die Lage des Rates wirklich ist.

Heute, einige Jahre nach der vollmundigen Ankündigung einer neuen Einheit der Muslime, scheint der KRM nach internen Querelen jedenfalls kaum noch handlungsfähig. Vielleicht wird er künftig nur noch den jährlichen Ramadankalender und eine Pressemitteilung zum Eid-Fest veröffentlichen. Will man verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst über die Konstruktionsfehler des Über-Verbandes klar werden. Tatsächlich ist das Scheitern des zentralen Koordinierungsgremiums der Muslime auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners nicht wirklich überraschend. Dies hat weniger mit den involvierten Persönlichkeiten zu tun, sondern eher mit den oft unreflektierten Techniken der Macht, an die uns der politische Islam über die Jahre gewöhnt hat.

Es wäre tatsächlich ein Feld für sich, über Phänomene wie „islamischer“ Staat und „islamischer“ Verein und den aus diesen Formen entstehenden Habitus grundsätzlich nachzudenken. Hierher gehört auch die Historie der beteiligten Verbände; oft von Immigranten gegründet, die im deutschen Vereinsrecht zunächst die einzige mögliche Organisationsform für ihre muslimischen Anliegen vorfanden. Es ist keine Nebensächlichkeit, dass das eigentlich zentrale Anliegen politischer Formation im Islam, die lokale und unmittelbare Verteilung der Zakat, in dieser Rechtsform gerade nicht nach altem Vorbild umgesetzt wurde. Über Jahrhunderte war die Erhebung und gerechte Verteilung der Zakat die Legitimationsbasis politischer Führung überhaupt. Den organisierten Islam interessierte die korrekte, dezentrale Umsetzung dieser Säule des Dins weniger. Er strebte durch Mitgliedsbeiträge, Zakat-Zahlungen ins Ausland und durch die Mehrung der Vereinsmitglieder in erster Linie nach dem profanen Machtzuwachs, der mittels Vereinsrecht erreichbar schien. Das unterschwellige Machtkalkül der Verbände stellte aber auch die Idee einer echten Einheit der Muslime von Beginn an in Frage.

Da muslimische Vereine sich gerade ihrer inneren Struktur nach und nur über die eigene Machtsteigerung definieren, war die Idee einer politischen Einheit der Verbände von jeher fragil. Bisher war es für jede Organisationen unausgesprochen klar, dass eine Zeitung, die Schule oder die Moschee die „eigene“ sein müsse.

Die Idee einer offenen Infrastruktur dagegen – zum Beispiel Stiftungen, die den Muslimen an sich gewidmet ist und außerhalb der eigenen Machtstruktur verortet wird – blieb diesem Denken naturgemäß fremd. Im Organisationsmuster wurde die Lehre dem politischen Willen der Verbände untergeordnet und die „ökonomischen Akteure“ – zum Beispiel die erfolgreichen muslimischen Geschäftsleute – organisatorisch ausgegrenzt.

Es gab aber noch andere Probleme, die der Koordinationsrat von Beginn an nicht überwinden konnte. Die unterschiedlichen Mitgliederzahlen der Beteiligten hätten jeden demokratischen Prozess in dieser politischen Einheit ad absurdum geführt. Die Folge war ein lähmendes Vetorecht des größten beteiligten Verbandes, der DITIB. Eine starke, gar den Verbänden übergeordnete Führungsebene des Koordinationsrates war aber auf dieser Grundlage des Politischen von vornherein undenkbar; hätte sie doch von einer übergeordneten Ebene aus agieren können. Unter diesen Umständen durfte der KRM weder finanziell, noch personell wirklich erstarken.

Vielleicht wäre es immer noch möglich, etwas guten Willen vorausgesetzt, diese Konstruktionsprobleme durch eine kleinere, aber effektive Agenda zu überwinden. Natürlich könnte zum Beispiel eine würdige Repräsentanz der Muslime in Berlin wünschenswert sein. Nach wie vor gibt es einigen Koordinationsbedarf und nach wie vor gilt das Argument, dass ein Untergang des KRM letztlich auch die gesellschaftlichen Ansprüche der Muslime schwächen würde. Es ist schon jetzt absehbar, das kleinere Verbände leichter gegeneinander ausgespielt werden können. Tatsächlich scheint diese pragmatische Möglichkeit einer pro forma Einheit nun auch durch persönliche Konflikte erschwert.

Der Streit um den agilen, an sich aber relativ kleinen „Zentralrat“ der Muslime (ZMD) unter Führung seines Vorsitzenden, Aiman Mazyek, zeigt hier das aktuelle Dilemma. Seine Stärke sind weniger die großen Mitgliedszahlen, als das „symbolische Kapital“, das sich der Vorsitzende Mazyek über jahrelange Medienarbeit hart erarbeitet hat. Während die türkischen Verbände nur langsam und mühsam eine Sprache für den Diskurs fanden, hat Mazyek längst schon viele unterschiedliche Themenfelder auf öffentlicher Bühne besetzt.

Nicht immer ist der Entscheidungsprozess dabei transparent und oft wirkt es für Außenstehende, als würde hier sogar im Namen aller Muslime gesprochen. In der letzten Pressekonferenz des ZMD – aufgeschreckt durch Angriffe der Partnerverbände, die den Vorwurf lanciert hatten, der ZMD würde sich auf Kosten aller Muslime profilieren – stellte Mazyek dann klar, dass man keinen Anspruch auf Vertretungsmacht aller Muslime stelle und sich zunächst eben alleine entwickeln wolle. Und – etwas gönnerhaft – fügte die Vizechefin des ZMD Soykan hinzu, es könnten ja auch die anderen Verbände die öffentliche Bühne suchen.

So tritt Mazyek weiter auf, hält Festreden auf der Dresdner Opernbühne, diskutiert mit dem DFB, bekommt das „Seniorensiegel“ verliehen und ist so beinahe täglich in den Medien präsent. Spätestens seit seinem Ausflug mit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, einem Duzfreund Mazyeks, in die Golfregion, begegnet dem umtriebigen ZMD-Chef dabei auch des Öfteren Neid und Missgunst. Sachlicher wirkt die Kritik, dass er – übrigens ähnlich wie SPD-Chef Gabriel – recht sprunghaft Positionen und Themen wechselt. So war bei seinem heftig kritisierten Vorstoß für ein Islamgesetz nach österreichischem Vorbild schnell nicht mehr klar, ob er denn ursprünglich dafür oder dagegen war. Allerdings wirkte sein Seitenhieb gegen die Fremdfinanzierung türkischer Imame dann schon wie das bewusste Durchtrennen der Freundschaftsbande mit den türkischen Partnern.

Es ist keine Frage, dass Aiman Mazyek immer wieder die muslimische Sache wortgewaltig vertritt. Sein Gespür für die Situation, zum Beispiel bei der Organisation der Berliner Mahnwache gegen den Terrorismus, die er mit Unterstützung großer Parteien perfekt inszenierte, rechtfertigt noch keine Ablehnung. Er hat auch Recht, wenn er postuliert, dass Muslime in Deutschland endlich ankommen müssen. Es wäre sogar logisch und für alle Muslime naheliegend, dass er mit seinen Talenten auch dem Koordinationsrat etwas mehr Leben verleiht. Nur, auch hier holt ihn eben die Logik der Machtansprüche wieder ein.

Die türkischen Verbände fürchten, dass ein agiler KRM-Sprecher oder selbstbewusster Generalsekretär inhaltliche Fakten schaffen könnte. Gleichzeitig hört man aus den Reihen der DITIB, dass man an einem zentralen Verband sowieso wenig Interesse habe; man befürchte eine Art kirchliche Struktur, die dem pluralen Charakter des Islam eben nicht entspreche. So sagt man wohl in diplomatischen Worten Adieu zu den Bemühungen, übergeordnete Koordination weiter gedanklich zuzulassen.

Im Ergebnis wird wohl jeder wieder für sich bleiben und ZMD-Boss Mazyek wird so künftig – wie bereits angekündigt – in erster Linie den Ausbau des Zentralrats vorantreiben. Im schlimmsten Fall wird er dabei als geschickter ­Stratege, und mit entsprechender Medienunterstützung, das Markenzeichen „liberal“ für seinen Verband beanspruchen und die antiquierte Dialektik „Konservative gegen Liberale“ für sich und seine Organisation nutzen. Die so überfällige wie mühsame Einebnung der des­truktiven Logik von „Liberalen gegen Konservative“ wäre damit „politisch“ wieder aufgehoben.

Was also tun? Vielleicht ist es de facto einfach ehrlicher, die plurale Struktur unserer Gemeinschaften zu akzeptieren. Zumindest das Ausloten gemeinsamer Interessen sollte dies natürlich nicht ausschließen. Es droht damit die weitere Verödung der innerislamischen Diskussionen, schon jetzt drehen sich die Verbände viel zu sehr um sich selbst. Andererseits, ist es vielleicht auch einfach an der Zeit, die gewohnte Bevormundung durch politische Vereine und den facettenreichen politischen Islam an sich in Frage zu stellen. Es erinnern sich viele schließlich an die zeitlose islamische Weisheit: „Wer die Macht für sich will, ist dafür am Wenigsten geeignet.“

Für nicht wenige Muslime sind es bereits heute die anderen, unverzichtbaren Elemente islamischen Zusammenlebens – wie Stiftungen, NGOs und unabhängigen Gemeinden –, die Querverbindungen zwischen den Muslimen herstellen, sich bewusst dem Machtspiel entziehen und wichtiger geworden sind, als der ewige Tanz um die Macht.

Eine anderer Trend kündigt sich ­ebenso an. Viele junge Muslime an der Basis können mit dem Zentralismus der 1980er Jahre wenig anfangen. Sie sind in Deutschland zu Hause und leben auch nicht mehr mit der Logik ethnischer Trennlinien. Sie wollen etwas vor Ort tun, keine Bürokratie aufbauen und nicht nur Befehlsempfänger sein. Als Organisationsmodell der Basis, die den höchsten gemeinsamen Nenner sucht, wie die Zakat, bietet sich von jeher das Umfeld lokaler Moscheegemeinden an. Den jungen Leuten geht es dort weniger um Repräsentation, als um die alltäglich gelebte und immer mögliche Erfahrung der Einheit im Rahmen überzeugender Wissensvermittlung. Wenn sie Parteiatmosphäre erleben wollen, dann gehen sie eben gleich in die Politik. Eine starke, „verjüngte“ Basis wird auch ohne Mühe die Verhältnisse umkehren; also von unten nach oben ermächtigen, statt von oben nach unten dominiert zu werden.

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Ersin Özcan: „Ich halte die Diskussionen für sehr unglücklich“

(iz). Die Debatten rund um das Islamgesetz in Österreich haben in den letzten Wochen auch Muslime und Politik in Deutschland beschäftigt. Forderungen nach einem ähnlichen Gesetz wurden auch hier laut. […]

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Karlsruhe erkennt Wirklichkeit an

Erfolgreich geklagt haben zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Die Verfassungsrichter sahen nun in dem pauschalen Verbot einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerinnen. Sie hätten plausibel dargelegt, dass das Kopftuchverbot ihre persönliche Identität berühre und ihnen sogar den Zugang zu ihrem Beruf verstelle.
Karlsruhe (iz/dpa/KNA). Muslimischen Lehrerinnen darf das Tragen von Kopftüchern an öffentlichen Schulen nicht länger pauschal verboten werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag (13. März 2015) veröffentlichten Beschluss entschieden. Die Richter kippten außerdem eine Vorschrift im nordrhein-westfälischen Schulgesetz, nach der christliche Werte und Traditionen bevorzugt werden sollen. Das benachteilige andere Religionen und sei daher nichtig.
Ein Kopftuchverbot an Schulen ist nach Ansicht der Richter nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Tragen eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht. Eine abstrakte Gefahr reiche nicht aus. Die Richter korrigierten damit ihr so genanntes Kopftuchurteil von 2003. Damals hatten sie den Ländern vorsorgliche Verbote erlaubt.
Erfolgreich geklagt haben damit zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Die Lehrerin und die Sozialpädagogin wandten sich gegen das gesetzliche Verbot, im Schuldienst ein Kopftuch oder ersatzweise eine Wollmütze zu tragen. Sie waren zuvor bei den Arbeitsgerichten gescheitert.
Die Verfassungsrichter sahen nun in dem pauschalen Verbot einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerinnen. Sie hätten plausibel dargelegt, dass das Kopftuchverbot ihre persönliche Identität berühre und ihnen sogar den Zugang zu ihrem Beruf verstelle. Damit sei auch der Gleichheitsgrundsatz berührt.
Der Beschluss war durch eine Computerpanne des Gerichts bereits am Donnerstag bekanntgeworden. Zwei Richter gaben ein Sondervotum ab.
Düsseldorf und Berlin wollen prüfen
Nach dem Urteil prüfen die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Berlin Änderungen ihrer Schulgesetze. „Wir werden nun unverzüglich prüfen, welche Konsequenzen aus den Entscheidungen im Einzelnen zu ziehen sind“, sagte Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) am gleichen Tag in Düsseldorf. „Dann werden wir alle erforderlichen rechtlichen Schritte zügig einleiten.“
Löhrmann (Grüne) hatte das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Kopftuchverbot begrüßt. Das 2006 auf Initiative der schwarz-gelben Vorgängerregierung ins Schulgesetz eingefügte Kopftuchverbot sei mit der in der Verfassung gewährleisteten Religionsfreiheit nicht vereinbar, erklärte Löhrmann am Freitag in Düsseldorf. Damit bestehe nun in einer seit Jahren strittigen Frage Rechtssicherheit.
Eine Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung sagte am Freitag, zunächst müssten die Entscheidungsgründe des Gerichts vorliegen.
Kurth rät zu Gelassenheit
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot sieht die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brunhild Kurth, einen möglichen „Anpassungsbedarf“ für einige Schulgesetze der Länder. Das Urteil „lotet das Verhältnis von öffentlichem Dienst und religiöser Betätigung neu aus“, sagte die CDU-Politikerin am Rande der KMK-Frühjahrssitzung in Leipzig der Deutschen Presse-Agentur.
Die Länder würden sich „ihre Schulgesetze und weitere Regelungen“ mit Blick auf Neutralitätspflicht noch einmal genau anschauen. Sie rate aber zur Gelassenheit. Letztlich müsse „vor Ort entschieden werden, wie mit dem Tragen religiöser Symbole in Unterricht und Schule umgegangen werden muss“. Lehrer, Schulleiter und Schulaufsicht müssten „mehr als bisher auf den Einzelfall schauen“, sagte Kurth.
Die SPD-Kirchenbeauftragte Kerstin Griese sprach von einer Stärkung der religiösen Vielfalt in Deutschland. „Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, sagte sie. Auch der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sprach von einem guten Tag für die Religionsfreiheit.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sprach von einer Stärkung der Religionsfreiheit. Leiterin Christine Lüders verwies in Berlin darauf, dass derartige Verbote auch negative Auswirkungen für kopftuchtragende Musliminnen in der Privatwirtschaft haben könnten.
Große Freude und verhaltene Zustimmung
Vor allem junge Musliminnen äußern sich sehr erfreut über das Urteil. Vielen war in den letzten Jahren die Ergreifung einer Karriere als Lehrerinnen versperrt, weil sie später hätten mit Schwierigkeiten bei der Einstellung rechnen müssen. Nun hoffen viele, dass sich hier manches Grundlegendes ändern wird.
Andere, wie der frühere IGMG-Generalsekretär Mustafa Yeneroglu, ordneten die Karlsruher Entscheidung in die bestehende rechtliche und politische Ordnung ein. Generell bedeute das Urteil noch keine sofortige oder gar flächendeckende Aufhebung bestehender Kopftuchverbote. Zumal im konkreten Einzelfall natürlich immer noch verboten werden könne. Grundsätzlich wurde das Urteil innerhalb der muslimischen Community als positiv begrüßt.
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot ist leider nur eine mangelhafte Reparatur des Schadens aus 2003. Wir hätten uns von den Verfassungsrichtern ein noch klareres Votum für die Religionsfreiheit, für den Gleichheitsgrundsatz gewünscht. Im Detail ist das Urteil aber eine Lehrstunde an den Gesetzgeber“, meinte Bekir Altaş, kommissarischer Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, anlässlich der Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Wünschenswert wäre es gewesen, so der kommissarische Yeneroglu-Nachfolger, wenn die Verfassungsrichter das Problem bei den Störern ausgemacht hätten, anstatt die Konsequenzen den betroffenen Lehrerinnen aufzuerlegen. „Schade, dass sich das Gericht von dem zumeist populistisch geführten Mehrheitsdiskurs nicht ganz lösen und von den Angstmachern vollständig emanzipieren konnte.“ Dennoch sei die Entscheidung ein deutlicher Schritt. Das Kopftuch tangiere weder die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler noch das Elternrecht oder den staatlichen Erziehungsauftrag. „Zutreffend stellen die Verfassungsrichter fest, dass das Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen die ‘Grenze der Zumutbarkeit’ überschritten hat.“
Die Ditib begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen als „Meilenstein“ für die Gleichberechtigung von Muslimen und die Religionsfreiheit. „Dadurch wird die Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, mit Leben erfüllt“, sagte der Landesvorsitzende Erdinc Altuntas am Tag der Urteilsverkündung in Stuttgart. Altunas sagte, entsprechend müsse nun das Schulgesetz in Baden-Württemberg geändert werden. Viele Frauen entschlössen sich derzeit gegen ein Lehramtsstudium, weil sie später im Schuldienst kein Kopftuch tragen dürften.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls positiv bewertet. „Auch wenn das Urteil keine generelle Erlaubnis für das Kopftuch bedeutet, ist es sehr erfreulich“, sagte ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan in Köln. Karlsruhe habe klargestellt, „dass das Kopftuch an sich keine Gefährdung des Schulfriedens bedeutet“. Das sei ein richtiger Schritt, „weil es die Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen in Deutschland würdigt und sie als gleichberechtigte Staatsbürger am gesellschaftlichen Leben partizipieren lässt“.
„Das Urteil macht unverkennbar deutlich, dass alle Religionen vor dem Grundgesetz gleich sind und dass keine Religion privilegiert werden darf. Ich gehe davon aus, dass Länder, die ein Kopftuchverbot erlassen haben, der Gleichbehandlung der Religionen Folge leisten und die Kopftuchverbote aufheben werden“, war die optimistische Einschätzung von Seyfi Ögütlü, dem Generalsekretär des Vereins der Islamischen Kulturzentren (VIKZ).
Photo by Thorsten Hansen

Muslime in Deutschland und Frankreich reagieren mit einhelliger Abscheu und Ablehnung auf den Pariser Anschlag

„Der schreckliche Anschlag von Paris hat uns alle erschüttert. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ (Ali Kizilkaya)

Paris/Berlin (KNA/iz) Nach dem blutigen Terroranschlag auf das französische Magazin „Charlie Hebdo“ haben Islamvertreter zu Demonstrationen gegen den Terrorismus aufgerufen. Bei einem Krisentreffen zahlreicher Islam-Organisationen am Donnerstag in der großen Moschee von Paris forderten sie alle Muslime Frankreichs auf, beim Freitagsgebet eine Schweigeminute für die Opfer des Terroranschlags abzuhalten. Einer der vier französischen Islamgelehrten, die am Mittwoch zu einer interreligiösen Begegnung mit dem Papst nach Rom gereist waren, rief seine Glaubensbrüder in Frankreich zu Massendemonstrationen auf.

Die unter Federführung des französischen Islamrats CFCM stattfindende Versammlung in Paris erklärte, alle Muslime Frankreichs sollten sich der für Samstag angesetzten nationalen Friedensdemonstration anschließen. Dabei sollten sie ihren Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben und nach Respekt für die Werte des Landes zum Ausdruck bringen.

Mohammed Moussaoui, Vorsitzender der Vereinigungen der Moscheen Frankreichs, betonte laut der französischen Zeitschrift „La Vie“ in Rom, die Ereignisse von Paris verstärkten die Notwendigkeit des Dialogs zwischen den Religionen. Den Terroristen warf er vor, den Islam für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Trotz mehrfacher Aufrufe von Politikern und Religionsvertretern, Ruhe zu bewahren und keine Racheakte zu verüben, wurden in Frankreich in der Nacht zum Donnerstag mehrere muslimische Einrichtungen angegriffen. Medienberichten zufolge setzte ein Unbekannter am Mittwochabend im südfranzösischen Port-la-Nouvelle mit einer Schrotflinte in einem muslimischen Gebetsraum mehrere Schüsse ab. Da das Gebet bereits beendet und der Saal leer war, wurde niemand verletzt.

Muslime in Deutschland drückten Hinterbliebenen ihr Beileid aus
Binnen 24 Stunden nach dem Anschlag haben die meisten größeren und viele mittlere muslimische Vereinigungen eindeutig auf die Morde in Frankreich reagiert. In einer Pressemitteilung vom Mittwoch, den 7.1.2015, verurteile der amtierende Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM), Erol Pürlü vom Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), den „feigen Anschlag“ im Namen seines Gremiums. „Terror hat keinen Platz in irgendeiner Religion. Wir verurteilen diesen feigen Akt auf das Schärfste. Unser Beileid und tiefstes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.“

Auch die einzelnen KRM-Mitglieder gingen am gleichen Tag beziehungsweise am 8.1.2015 an die Öffentlichkeit. Ali Kizilkaya vom Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland zeigte sich „erschüttert“. Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer, den Beteiligten und dem französischen Volk.“ Mit diesem grausamen Akt hätten die Attentäter den Propheten Muhammed und die Religion des Islams verhöhnt und beleidigt.

Der deutsche Moscheen-Dachverband Ditib zeigte sich indes besorgt über eine erhöhte Gefahr für islamische Einrichtungen in Deutschland. Man müsse „damit rechnen, dass Neonazis, Pegida-Aktivisten und Islamhasser diesen schrecklichen Terrorakt zum Anlass nehmen, ihre Angriffe zu vermehren“, sagte der Bundesvorstandssprecher der türkisch-islamischen Organisation, Bekir Alboga, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Vom größten Islamratsmitgliedsverband, der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, meldete sich deren Generalsekretär, Mustafa Yeneroğlu, in einer Erklärung zu Wort. Das Ziel solcher Gewalttaten sei ungeachtet deren Quelle „die Zerstörung des gesellschaftlichen Friedens“. Daher sei es wichtig, „dass wir geschlossen auf diese schockierende Tat reagieren, damit die Angreifer ihr Ziel nicht erreichen können“. Dass seine Befürchtungen nicht unbegründet seien, zeigten drei Übergriffe gegen muslimische Einrichtungen in Frankreich seit gestern.

Noch am gleichen Tag verurteilte der Zentralrat der Muslime die Anschläge in Paris. „Es gibt in keiner Religion und keiner Weltanschauung auch nur einen Bruchteil einer Rechtfertigung für solche Taten. Dies ist ein feindlicher und menschenverachtender Akt gegen unsere freie Gesellschaft. Durch diese Tat wurde nicht unser Prophet gerächt, sondern unser Glaube wurde verraten und unsere muslimischen Prinzipien in den Dreck gezogen.“ Es stehe zu befürchten, dass der Anschlag „neues Wasser auf den Mühlen von Extremisten jeglicher Couleur“ sein werde. „Wir rufen alle dazu auf, dem perfiden Plan der Extremisten nicht auf dem Leim zu gehen, die die Gesellschaft spalten.“

Der Kölner Journalist Eren Güvercin zeigt sich schockiert von der Perversität des Anschlags. Für ihn ist es nun umso wichtiger, dass die muslimische Gemeinschaft die Gefahr modernistischer Sekten erkennt und die Frage nach islamischen Inhalten aufarbeitet. Der Münchener Imam Benjamin Idriz verurteilt das Verbrechen scharf und erinnerte an das prophetische Vorbild des Vergebens. Wenn auch mahnte er zum Respekt vor den Gefühlen der Gläubigen aller Religionen. Er stellt fest, dass die Täter weder zu Europa, noch zum Islam gehören.

Über Facebook, Twitter und Instagram initiierte die Islamische Zeitung den Hashtag #VerteidigeDenPropheten, um einem Missbrauch des Propheten Muhammed durch Hass und Gewalt entgegenzuwirken.

Eine IZ-Leserin begrüßte auf Facebook die Haltung der IZ-Redaktion zu den Pariser Vorgängen: „(…) das lässt immer noch hoffen, dass der Nährboden des Extremismus versalzen werden kann, wenn wir mit Vernunft und Besonnenheit auf Eskalationsversuche verirrter Irrer reagieren.“ „Diese Idioten“, beklagte eine Leserin die Taten, „werden jetzt wieder Millionen friedliche Moslems mit tatkräftiger Unterstützung der Medien in den Schmutz ziehen.(…) Hoffe, dass die Vernunft siegt“.

Die IZ-Redaktion wird das Thema im Rahmen ihrer online- und Druckausgabe weiter begleiten. Alle Leser- und AutorInnen sind eingeladen, sich mich konstruktiven Beiträgen und Leserbriefen zu beteiligen. (sw & ak)



Mehr Führung nötig. Gesetzesentwurf der Regierung hat Proteste bei Muslimen und Kritik bei Experten hervorgerufen

(iz). Die geplante Novellierung des aus dem Jahr 1912 stammenden Islamgesetzes stößt auf heftige Kritik. Nicht nur Verbände und die Zivilgesellschaft sprechen sich gegen die Gesetzesänderung aus, sondern auch zusehends […]

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Die britischen Muslime zählen zu den führenden Spendern in Europa

„Die lokalen Wohltätigkeitsorganisationen müssen eine gute Balance zwischen Ausgaben in Übersee und im Innenland finden.“ (iz). Der Beitrag muslimischer Europäer zur Menschenliebe und Nächstenliebe, zu Hause oder im Ausland, ist […]

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Kommentar zu den Chancen, die muslimische Selbstorganisation der politischen Bevormundung zu entziehen

(iz). Die Präsenz des Islam in Deutschland hat in den letzten Jahren auch zu neuen Organisationsformen geführt. Aus dem politischen Islam sind die Verbände hervorgegangen, die sich heute als Interessenvertretung […]

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Lassen sich aus den Brandanschlägen Bedeutungen für die muslimische Gemeinschaft ableiten?

(iz). Nach einer Brandstiftung durch Unbekannte auf eine Bielefelder Moscheegemeinde am 11. August kam es am Morgen vom 18. August zu einem weiteren Anschlagversuch auf eine andere Lokalität. Laut Berichten […]

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Debatte: Ramadan erinnert auch an unsere Gemeinsamkeiten

(iz). Kurz vor Ramadanbeginn hören wir Muslime immer wieder präsidial klingende Aufrufe nach mehr Geschwisterlichkeit; wir sollen das Konkurrenzdenken überwinden und unseren Idealen folgen. Natürlich sind diese Deklarationen gut gemeinte Denkanstöße, vor allem wenn, wir uns dabei an das berühmte Bild der Offenbarung erinnern: Die Welt ist ein Spiegel.

Unsere eigenen Organisationsformen sind es, die wir zunächst prüfen müssen. „Geht es uns nur egozentrisch um Machtsteigerung oder um den Dienst an der Gemeinschaft, die Förderung echter Geschwisterlichkeit?“, heißt zunächst die allgemeine Prüfformel an uns selbst.

Neben der allgemeinen Rhetorik ergeben sich in erster Linie aus dem Islam wichtige Kriterien. Sie sind übrigens durchaus nachprüfbar. So überwindet der Islam die dauerhafte Ausrichtung an bestimmten Ethnien und propagiert dagegen eine offene, geschwisterliche Gemeinschaft, die für jeden, der Dienst an der Gemeinschaft leisten will, gleich zugänglich ist. Der Islam bevorzugt eindeutig das Modell von Stiftungen; auch weil sie der politischen Kontrolle und ­Dominanz einer Elite entzogen sind und sich so selbstlos wie zuverlässig über Generationen hinweg anerkannten Zwecken und Zielen ­widmet.

Nicht zuletzt ist es die Zakat, die uns auf besondere Weise geschwisterliche Solidarität auferlegt. Sie wird lokal erhoben, verteilt und schafft so sozialen Zusammenhalt. Echte Transparenz ergibt sich dabei aus den dezentralen Verteilungsmechanismen, die vor unseren Augen ablaufen.

Brüderlichkeit heißt also auch, dass wir bei berechtigter Kritik nicht weinerlich sind, sondern uns den nachvollziehbaren Argumenten der Anderen stellen. Zur Koordination der unterschiedlichen Beiträge sind heute Initiativen einer muslimischen Zivilgesellschaft willkommen, die – gewissermaßen zum Ausgleich der „von oben nach unten“-Hierarchie – wirklich basisdemokratisch „von unten nach oben“ agieren und von keinem bestimmten Verband dominiert werden.

Dass wir Muslime „parteiübergreifend“ zu gemeinsamen Handeln durchaus fähig sind, zeigen unsere Hilfsaktionen – wie unlängst bei der Flutkatastrophe in Bosnien. Im Ramadan sollten wir uns also Zeit nehmen – neben dem konstruktiven Streit um die Sache –, die eigenen Grundlagen, aber auch Gemeinsamkeiten unserer Rechtsschulen, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. (Von Abu Bakr Rieger)

Neues Konzept zur Islamkonferenz bis Mitte März

Berlin (KNA). Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) will bis Mitte März ein Konzept zur Fortsetzung der Islamkonferenz vorlegen. Das kündigte der Minister am Montag in Berlin nach einem ersten Gespräch mit Vertretern muslimischer Verbände an. Bei der Unterredung habe man sich auf Inhalte konzentriert „und gemeinsam diskutiert, wie wir unseren Dialog ergebnisorientiert und nach vorne schauend fortsetzen können“, sagte der Minister. Die Gespräche würden in den kommenden Wochen fortgesetzt, um sich über Ziele, Themen, Struktur und Aufbau der Konferenz verständigen.

Nach Angaben des Ministeriums nahmen sieben Verbände an dem Treffen teil, darunter die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, zeigte sich nach dem Gespräch optimistisch. „Heute haben wir tatsächlich ergebnisoffen, auch formatsoffen und inhaltsoffen gesprochen“, sagte Mazyek der Deutschen Welle. Es gehe darum, den Islam als Teil der Gesellschaft in Deutschland zu verstehen.

Nach Ansicht des Wissenschaftlers Bülent Ucar sollte bei einer Neuausrichtung die gleichberechtigte Anerkennung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Mittelpunkt stehen. „Weil diese Frage auf Landesebene zu klären ist, müssen die Bundesländer viel stärker in die Islamkonferenz einbezogen werden“, sagte der Direktor des Instituts für islamische Theologie an der Universität Osnabrück der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag). Nur durch eine rechtliche Gleichstellung der islamischen Gemeinden mit anderen anerkannten Religionsgemeinschaften in Deutschland lasse sich ein Dialog auf Augenhöhe führen.

Ucar lobte zugleich die Initiative de Maizieres, auf die islamischen Verbände zuzugehen und den Austausch zu suchen. Er appellierte an die Verbände, die sich in der Vergangenheit aus der Islamkonferenz zurückgezogen hatten, sich auf einen erneuten Dialog einzulassen. „Besonders wichtig ist es, dass der Islamrat und der Zentralrat der Muslime an der nächsten Islamkonferenz teilnehmen“, sagte der Islamwissenschaftler. „Diese beiden großen Verbände müssen die Bereitschaft zeigen, mitzuwirken.“

Die Linke bezeichnete unterdessen die Islamkonferenz als Symbolpolitik. Statt ihre gesellschaftliche Anerkennung zu fördern, habe die Konferenz Muslime bislang eher als problematische Gruppe erscheinen lassen, erklärte die migrationspolitische Sprecherin der Links-Fraktion, Sevim Dagdelen. „Integration ist eine soziale, keine religiöse Frage“, so Dagdelen. Es müsse um die soziale und politische Teilhabe aller hier lebenden Menschen gehen – unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder religiösen Herkunft. Dazu bedürfe es „keiner Konferenzen oder Kommissionen, sondern einer anderen Politik mit praktischen Schritten zu rechtlicher und sozialer Gleichstellung“.