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Thomas Bauer kritisiert einseitige Islamdebatten

Screenshot: YouTube | ZDF

Berlin (KNA). Der Münsteraner Islamwissenschaftler Thomas Bauer hält viele der in Europa laufenden Debatten über den Islam für zu einseitig. So fehle es etwa an Verständnis für die theologischen Grundlagen, bemängelte er in einem Interview der „Zeit““-Beilage „Christ & Welt“.
„Der Koran ist kein Sachbuch, sondern ein religiös-literarisches Dokument, das nicht chronologisch geordnet ist“, betonte Bauer. „Der Koran entstand auch nicht irgendwo in der Wüste, sondern in einer Region, in der Christentum, Judentum und lokale Religionen in einem permanenten intellektuellen Austausch standen.“ Dies gelte es, bei der Lektüre zu berücksichtigen.
Zugleich räumte Bauer ein, dass sich in den vergangenen 100 Jahren in weiten Teilen der arabischen Welt ein rigides Koranverständnis etabliert habe. Begünstigt werde dies durch autokratische Herrschaftsstrukturen. Zwar fänden ein kritischer Diskurs und eine Kommentierung des Koran weiterhin „in der Nische“ statt. Gerade Geisteswissenschaften führten unter solchen Bedingungen ein Schattendasein. „Der Korridor des Sagbaren wird enger und enger.“
Eine „Verflachung des Wissens“ sei aber kein Alleinstellungsmerkmal der islamischen Welt, fügte Bauer hinzu. „Auch hierzulande lässt die gesellschaftliche Durchdringung der Geisteswissenschaften merklich nach, schwindet der Sinn für Ambiguität, gedeiht die Sehnsucht nach einer Eindeutigkeit, die sich der Welt passend macht und mit Geschichte, Kontext, Ambivalenz nichts zu schaffen haben will.“ Wissen, so der Wissenschaftler weiter, werde inzwischen oft durch Meinung, Information durch Skandalisierung ersetzt.
Auch in der politischen Diskussion herrsche bisweilen eine Tendenz zu Vereinfachung, würden künstlich Gegner aufgebaut, um von den eigentlichen Herausforderungen wie dem Klimawandel abzulenken, sagte Bauer. „“Angesichts der Tatsache, dass uns die Erde unterm Hintern wegschmilzt, ist eine Debatte über Kopftücher oder die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, fast schon obszön.“