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Gemeinnützigkeit: Bundesfinanzhof hält an umstrittenem Urteil fest

Foto: Pressefoto Attac

Frankfurt (Attac). Die juristische Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac Deutschland geht in die letzte Runde: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Revision des globalisierungskritischen Netzwerks gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom Februar 2020 zurückgewiesen. Damit ist der Rechtsweg ausgeschöpft. Attac kann in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit einreichen.

Mit ihrer Entscheidung, die Revision zurückzuweisen, haben die Richter*innen am BFH nach Ansicht von Attac die Gelegenheit versäumt, ihr Urteil vom Februar 2019 einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

„Offenbar liegt dem BFH nichts daran, den auch unter Fachleuten entstandenen Eindruck zu korrigieren, er habe sich in seinem Urteil über die Gemeinnützigkeit von Attac mehr von politischen als rechtswissenschaftlichen Erwägungen leiten lassen“, stellt Dirk Friedrichs vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis fest. „Mit ihrer juristisch umstrittenen, überaus engen Auslegung der gemeinnützigen Zwecke der politischen Bildung und der Förderung des demokratischen Staatswesens behindern die Richter*innen am BFH die Arbeit von tausenden fürs Gemeinwohl engagierten Vereinen.“

In seinem Beschluss vom Februar 2019 hob der BFH das für Attac positive Urteil der ersten Instanz auf und verwies das Verfahren zurück an das Hessische Finanzgericht in Kassel. In seinem Urteil, das auch in der juristischen Fachwelt kritisiert wurde, steckte der BFH den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen deutlich enger als die bisherige Rechtsprechung. Bei ihrer erneuten Entscheidung Anfang 2020 mussten die Richter*innen der ersten Instanz der Auslegung des BFH folgen und die Klage von Attac abweisen – gegen ihre eigene Überzeugung. So meinte der Vorsitzende Richter in Kassel, das Urteil des Bundesfinanzhofs sei „mit heißer Nadel gestrickt“.

Maria Wahle, ebenfalls Mitglied im Attac-Koordinierungskreis, kommentiert: „Aus der Begründung für die Ablehnung der Revision spricht dasselbe autoritäre Demokratieverständnis von vorgestern wie aus dem ersten Beschluss des Bundesfinanzhofs. Statt eine aktive, sich einmischende Zivilgesellschaft zu fördern, geht es den Richter*innen offenbar vor allem darum, ihr Grenzen zu setzen. In Zeiten einer zunehmenden Politik- und Demokratieverdrossenheit ist dies ein falsches Signal.“

Die Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Attac hat Bedeutung für die gesamte Zivilgesellschaft. Bereits wenige Wochen nach dem BFH-Urteil im Februar 2019 entzogen Finanzämter weiteren Organisationen die Gemeinnützigkeit.

Hintergrund

Das Frankfurter Finanzamt entzog Attac 2014 die Gemeinnützigkeit mit der Begründung, das Netzwerk sei zu politisch. Insbesondere der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer oder eine Vermögensabgabe diene keinem gemeinnützigen Zweck, hieß es zur Begründung. Bereits im November 2016 gab das Hessische Finanzgericht der Klage von Attac statt und bestätigte dessen Gemeinnützigkeit.

Auf Weisung des Bundesfinanzministeriums unter Wolfgang Schäuble beantragte das Frankfurter Finanzamt jedoch Revision beim BFH in München. Das Finanzministerium trat dem Revisionsprozess auch offiziell als Verfahrensbeteiligter bei.

Der BFH hob das Urteil der ersten Instanz im Februar 2019 auf und verwies das Verfahren zurück an das Hessische Finanzgericht. In seinem viel kritisierten Urteil steckte der BFH den Rahmen für politisches Engagement von gemeinnützigen Organisationen sehr viel enger als die bisherige Rechtsprechung gesteckt und legte insbesondere den gemeinnützigen Zweck „Förderung der Bildung“ deutlich restriktiver aus. Die Richter in Kassel mussten bei ihrer erneuten Entscheidung am 26. Februar 2020 der Rechtsauslegung des BFH folgen, ließen aber ausdrücklich eine Revision zu. Am 27. Januar 2021  wies der BFH die Revision von Attac zurück. Das globalisierungskritische Netzwerk wird nun binnen vier Wochen Verfassungsbeschwerde einreichen.

Durch den Entzug der Gemeinnützigkeit dürfen Mitglieder und Unterstützer von Attac ihre Beiträge und Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Stiftungen und andere Institutionen können Projekte von Attac nicht mehr fördern. Zudem muss Attac Steuern zahlen, die für gemeinnützige Vereine nicht anfallen, beispielsweise Schenkungssteuern.

Gemeinsam mit anderen Organisationen hat Attac die Gründung der „Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung” angestoßen, die im Juli 2015 die Arbeit aufgenommen hat. Der Allianz setzt sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht und eine Änderung der Abgabenordnung ein. Ihr angeschlossen haben sich mehr als 180 Vereine und Stiftungen – darunter neben Attac beispielsweise auch Brot für die Welt, Amnesty International, Medico International, Oxfam, Terres des Hommes und Campact. (www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de)