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Steinmeier und Merkel beschuldigen Trump

Foto: Official White House Photo by Tia Dufour, via flickr | Lizenz: gemeinfrei

Der Sturm auf das Kapitol in Washington löst auch in Deutschland Erschütterung aus. In der Schuldfrage ist man ziemlich einig. Wohl noch nie haben Bundesregierung und Bundespräsident einen US-Präsidenten so scharf attackiert. Es gibt aber auch Hoffnung.

Berlin (dpa). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel haben sich erschüttert über die Ausschreitungen in den USA gezeigt und Präsident Donald Trump mitverantwortlich dafür gemacht. Steinmeier warf Trump am Donnerstag vor, den „bewaffneten Mob“ aufgestachelt zu haben, der das Kapitol gestürmt hat. „Es war ein Sturm auf das Herz der amerikanischen Demokratie“, sagte er. „Diese Szenen, die wir gesehen haben, die sind das Ergebnis von Lügen und noch mehr Lügen, von Spalterei und Demokratieverachtung, von Hass und Hetze.“

Merkel sagte, die Bilder aus Washington hätten sie „wütend und auch traurig gemacht“. Trump habe seine Niederlage bei der Präsidentenwahl am 3. November bedauerlicherweise nicht eingestanden. „Das hat natürlich die Atmosphäre bereitet, in der dann auch solche Ereignisse, solche gewalttätigen Ereignisse möglich sind.“

Auch Vizekanzler Olaf Scholz gab Trump eine Mitschuld an der Gewalt. Trump habe viele Menschen „aufgestachelt und auch nicht zurückgehalten“, sagte der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat in einem RTL/n-tv-Interview. „Das ist ganz klar etwas, was man erlebt, wenn Populisten Macht bekommen.“

Am Mittwoch waren Proteste wütender Anhänger Trumps in der Hauptstadt Washington eskaliert und hatten das politische Zentrum der USA zeitweise in beispielloses Chaos gestürzt. Bei den Ausschreitungen kamen nach Angaben der Polizei vier Menschen ums Leben.

Trump war kurz vor der Kongresssitzung zur Bestätigung der Wahlergebnisse vor seinen Anhängern aufgetreten. Er hatte dabei seine unbelegten Wahlbetrugsvorwürfe wiederholt und seine Unterstützer dazu aufgerufen, zum Kapitol – dem Sitz des US-Parlaments – zu ziehen. Anschließend erstürmten Randalierer das Gebäude.

Steinmeier sagte, dies sei eine „historische Zäsur“ für die USA. „Und es ist ein Angriff auf die liberale Demokratie überhaupt.“ Er sei sich aber sicher, dass die US-Demokratie stärker sei als der Hass. „Die Institutionen der Demokratie sind mächtiger als Lügen und Hetze.“

Merkel nannte die Bilder aus Washington verstörend. „Eine Grundregel der Demokratie ist: Nach Wahlen gibt es Gewinner und Verlierer“, sagte sie. „Beide haben ihre Rolle mit Anstand und Verantwortungsbewusstsein zu spielen, damit die Demokratie selbst Sieger bleibt.“

Zugleich zeigten sich sowohl Merkel als auch Steinmeier mit Blick auf die für den 20. Januar geplante Vereidigung des neuen Präsidenten Joe Biden zuversichtlich. Die Kanzlerin sagte, die Worte Bidens und viele Reaktionen aus beiden großen Parteien der USA machten sie sicher: „Diese Demokratie wird sich als viel stärker erweisen als die Angreifer und Randalierer.“ Die USA würden am 20. Januar „ein neues Kapitel ihrer Demokratie eröffnen“. Auch Steinmeier sagte: „Die Fackel der Demokratie wird wieder heller leuchten.“

Der Bundespräsident erinnerte im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol an die Szenen aus dem vergangenen Jahr, als Demonstranten bis auf die Stufen vor dem Reichstagsgebäude vorgedrungen waren. „Deshalb sende ich diese Botschaft heute auch an uns alle: Hass und Hetze gefährden die Demokratie, Lügen gefährden die Demokratie, Gewalt gefährdet die Demokratie.“ Daran sollte man gerade in den schweren Zeiten der Corona-Pandemie und gerade im Wahljahr denken. „Die Demokratie ist unser kostbarstes Gut. Sie lebt vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger, sie braucht den Respekt vor ihren Regeln und Institutionen.“

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer forderte, aus den Ereignissen in Washington auch Schlüsse für den Schutz des Bundestages zu ziehen. Die Ausschreitungen seien Folge einer schon länger andauernden geistigen und politischen Brandstiftung, sagte die Verteidigungsministerin bei „Welt“-TV. „Die Unversehrtheit des Bundestages, sie muss gegen alle Angriffe verteidigt werden, auch das lehren uns die Bilder aus Amerika.“

Die Ausschreitungen am Kapitol wurden parteiübergreifend verurteilt – auch von der AfD. „Die AfD lehnt jede Form von Gewalt und Anarchie ab. Was da geschehen ist, das ist erschreckend, verstörend und völlig indiskutabel“, sagte Parteichef Jörg Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Einen Vergleich mit den Vorfällen auf der Treppe des Reichstagsgebäudes hält er allerdings für unangemessen. „Das hatte eine völlig andere Dimension.“ Damals hatten bei einer Demonstration Gegner der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen eine Absperrung am Reichstagsgebäude durchbrochen, einige versuchten, sich Zugang zu verschaffen. Wenige Polizeibeamte drängten die Menschen zurück.

Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte noch in der Nacht auf Twitter eine Parallele zwischen dem Sturm auf das Kapitol und den Ereignissen vor dem Reichstagsgebäude gezogen: „Aus aufrührerischen Worten werden gewaltsame Taten – auf den Stufen des Reichstages, und jetzt im Capitol. Die Verachtung demokratischer Institutionen hat verheerende Auswirkungen.“

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch warf Trump vor, einen Staatsstreich angezettelt und seine Anhänger „auf einen Feldzug gegen die Demokratie geschickt“ zu haben. Die Bilder des „blindwütigen Mobs, der Washington ins Chaos stürzt“, zeigten eine neue Qualität, mit der sich die extreme Rechte an die Macht klammere, schrieb er auf Twitter.