Srebrenica geschah vor 28 Jahren

(iz). Srebrenica. Die meisten von uns haben schon einmal diesen Namen gehört. Es ist der Name einer Stadt im Osten von Bosnien und Herzegowina, der um die Welt ging. Man könnte auf die Idee kommen, das Massaker an den bosniakischen Männern dieser Gemeinde sei auf das – wenn man es denn so nennen kann – gewöhnliche Kriegsgeschehen zurückzuführen, welches immer Opfer mit sich bringt. Hier ist aber nichts gewöhnliches passiert. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine Ideologie.

Schon 1989, noch bevor der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ausgebrochen war, hielt der damalige Präsident Serbiens, Slobodan Milosevic, am 28. Juni, dem „Vidovdan“ (Lazars Tag), auf dem Kosovo eine Rede zum 600. Jahrestag des Todes des serbischen Prinzen Lazar, der auf dem Amselfeld (nahe Pristina) gegen die Osmanen unter Sultan Murad I gekämpft hatte und getötet wurde. Milosevic kündigte vor Millionen Zuhörern einen Kreuzzug gegen die Muslime auf dem Balkan an, den Bosniaken sowie den Albanern auf dem Kosovo. Die Schlacht auf dem Amselfeld wurde seit jeher von serbischen Nationalisten in die Mythologie der serbisch-orthodoxen Kirche eingebunden. Prinz Lazar wurde zu einer neuen Christusfigur emporgehoben, die durch den verfluchten Feind, dem Tüken, dem Muslim, ermordet wurde und gerächt werden müsse.

Es finden sich serbisch-lyrische Werke, in denen Flüche auf jeden Menschen „serbischen Blutes“ verhängt werden, der nicht antritt, um auf dem Kosovo zu kämpfen. Es gibt zahlreiche religiös geprägte Werke, in denen die Feindschaft zu den Türken, mit denen alle Muslime gemeint sind, thematisiert wird. Diesen religiösen Mythos nutzte Milosevic, um die aufgeheizte Stimmung in Jugoslawien gänzlich zu entflammen. Die Muslime auf dem Balkan wurden als Nachfolger der Osmanen zum natürlichen Feind der Christen erklärt, den es auszurotten galt.

Die Ausrottung sollte auf ganz spezifische Art und Weise stattfinden: Erniedrigung und höchstmögliche Qual. Unzählige Frauen wurden vergewaltigt. Nicht etwa, weil dies zur gängigen Kriegstreiberei gehört, sondern insbesondere deswegen, weil aus den Musliminnen „serbischer Nachwuchs“ entstehen sollte.

Seit der Herrschaft der Osmanen galt auf dem Balkan unter Nichtmuslimen die allgemeine Angst, die Muslime vermehrten sich so schnell und in solch hoher Anzahl, dass sie irgendwann die Christen überholen und zur Mehrheit werden würden. Die Vergewaltigungen fanden auf die erschreckendste Art und Weise statt, denn hier kommt der Aspekt der Erniedrigung ins Spiel. Überlebende berichten davon, dass sie vor ihren Ehemännern, Brüdern, Vätern, Müttern, den eigenen Kindern vergewaltigt wurden, bevor diese dann oft selbst ermordet wurden. Andere Frauen berichten, sie wurden gezwungen, ihren Vergewaltiger als ihren alleinigen Gott zu bezeichnen – eine Anspielung auf das islamische Glaubensbekenntnis. Alte Lagerhallen wurden in Bordelle für serbische Soldaten umgestaltet, in denen sie sich an gefangenen Frauen vergreifen konnten. Oftmals wurden die Frauen von mehreren Soldaten gleichzeitig vergewaltigt, täglich, über Monate hinweg. Sollten die Frauen dem entkommen, war man sich sicher, sie würden von der muslimischen Gesellschaft als unrein geächtet, und würden somit nie wieder muslimische Männer heiraten können, und muslimische Kinder zeugen.

Auch Männer wurden im Bezug auf ihren Glauben erniedrigt. So gibt es Aufzeichnungen darüber, wie serbische Soldaten „Yallah!“ rufen, damit die Gefangenen schneller zu den Gräben laufen, in die sie fallen werden, nachdem man ihnen in den Hinterkopf geschossen hat.

Die Systematisierung des Mordens, die während des Jugoslawienkriegs in den 1990er Jahren stattfand, lässt keine Zweifel daran offen, dass es sich hier um einen geplanten Völkermord handelte. Auf serbischer Seite wird dies – zumindest öffentlich – bis heute bestritten. Serbische Politiker weigern sich auch heute noch, anzuerkennen, dass das, was den Muslimen widerfahren ist, mehr als ein Kriegsverbrechen war.

Es gilt hier zu beachten, dass von allen Seiten, auch von Muslimen, Kriegsverbrechen gegen Zivilisten begangen wurden, welche insbesondere aus islamischer Perspektive auf das Schärfste zu verurteilen sind. Um die Begriffe „Kriegsverbrechen“ und „Völkermord“ jedoch von einander abzugrenzen, muss man das gesamte System der Kriegsführung betrachten. Die Konzentrationslager, die man in Bosnien fand, in denen Menschen gefoltert, ausgehungert und vergewaltigt wurden, verdeutlichen das System, unter dem dieser Krieg geführt wurde.

Dieses System ist uns in Deutschland nur allzu bekannt und in schmerzhafter Erinnerung geblieben. Umso verwirrender scheint es, dass bei solch erdrückender Sachlage immer noch eine Verweigerung stattfindet, die begangene Schuld einzugestehen. Hier greift die Mythologie. Nationalistische Serben sind davon überzeugt, die Opfer hätten verdient, was ihnen passiert ist.

Als durch den Einfluss der Osmanen viele Menschen auf dem Balkan den Islam annahmen, sahen viele Christen dies als Verrat am slawisch-christlichen Glauben und somit am slawisch-christlichen Volk an. Verächtlich wurden die Konvertiten „Poturice“ genannt, was so viel wie „Eingetürkte“ heißen soll. Dieser Begriff wird heute noch von kroatischen und serbischen Nationalisten verwendet. Für südslawische Christen gibt es keine Trennung von Nation und Religion. Gehört man einer Nation an, so gehört man auch der dazugehörigen Religion an.

Daher weigerte man sich auf nationalistischer Seite, die Muslime als jugoslawische Bürger muslimischen Glaubens anzuerkennen, sondern verband sie national immer noch mit den Türken. Seit den 1970er Jahren waren die slawischen Muslime in Jugoslawien offiziell aber als Volk unter diesem Namen anerkannt – „Muslimani“. Später änderte man die Volkszugehörigkeit in „Bosniaken“ um.

Ein weiteres Mittel zur geschichtlichen Auslöschung des Islams auf dem Balkan war das Niederbrennen von Moscheen und die Zerstörung der Vijecnica – der Nationalbibliothek Bosniens in Sarajevo. Während der serbischen Belagerung Sarajevos wurde diese 1992 mehrmals mit Granaten beschossen und schließlich, in der Nacht zum 26. August, in Brand gesetzt. Über 80% des Literaturbestands und der Dokumente in der Bibliothek wurden zerstört – Zeugnisse der kulturellen, multiethnischen und religiösen Vielfalt des Landes. Unter anderem waren dort Schriften zu finden, die das Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen unter der osmanischen Herrschaft dokumentierten. Außerdem beinhaltete die Vijecnica Schriften, die in bosnischer Sprache, aber in arabischer Schrift verfasst wurden. Man nannte diese Schreibweise „Arabica“, in der unzählige tief spirituelle, literarische Werke entstanden sind. All dies sollte zerstört werden, um die Geschichte neu schreiben zu können. Auch die Bücherverbrennung ruft in unserem deutschen Bewusstsein erschreckende Assoziationen hervor.

In den Debatten, die während des Krieges geführt wurden, sind Aussagen gefallen wie „denkt nicht, dass ihr Bosnien und Herzegowina nicht in die Hölle führen werdet und das muslimische Volk womöglich ins Verschwinden“. Diesen Satz äußerte der Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, gegenüber dem damaligen Präsident Bosniens, Alija Izetbegovic, der die Unabhängigkeit Bosniens von den verbliebenen Teilrepubliken Jugoslawiens anstrebte, da diese die Idee eines Großserbiens in Planung hatten. Er lehnte diese Drohung klar ab und ließ sich nicht auf den Einschüchterungsversuch Karadzics ein. Wenn wir euch also umbringen, weil ihr euch nicht unterdrücken lasst, dann seid ihr an eurem Schicksal selbst Schuld. Dieses Denken ist tief verwurzelt in den Köpfen der Nationalisten, welches es möglich macht, sich von jeglicher Schuld freizusprechen.

Kommen wir zurück zu Srebrenica. Es stellte den traurigen Höhepunkt des Bosnienkrieges dar. In einer noch heute auf Youtube zu findenden Aufzeichnung äußert sich am 11. Juli 1995 der General der bosnischen Serben, Ratko Mladic, zu seinem Vorhaben: „Wir sind hier, am 11.07.1995, in Serbisch-Srebrenica, genau einen Tag vor einem großen serbischen Feiertag, und schenken dem serbischen Volk diese Stadt, denn endlich ist der Moment gekommen, in dem wir uns, nach so vielen Aufständen, an den Türken rächen werden.“

Dass die Stadt zu diesem Zeitpunkt eigentlich als UN-Schutzzone galt, soll hier, um Zynismus zu vermeiden, keine weitere Erwähnung finden, aus Respekt vor den Opfern. Weit mehr als 8.000 Jungen und Männer im Alter von 12 bis 77 Jahren wurden in den darauffolgenden Tagen massakriert.

Srebrenica sollte uns nicht nur als eine Zahl in Erinnerung bleiben. Srebrenica sollte uns mahnen. Nationalismus und die damit verbundenen Ideologien führen in ihren schlimmsten Auswüchsen zu dem, was in den 1990er Jahren auf dem Balkan geschehen ist. Umso deutlicher wird uns Muslimen dadurch, wie konträr sie zum Islam sind. Unsere Antwort auf Feindseligkeit darf nicht die eigene Verstrickung in ideologische Strukturen sein. Unsere Antwort muss immer der Islam sein.

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Srebrenica: Am 13. Juli begannen die Hinrichtungen

Bonn (KNA). „Ich tue alles, was ich kann, um zum Frieden beizutragen“, das beteuerte der serbische Präsident Slobodan Milosevic noch 1996 in einem „Spiegel“-Interview. Als „Totengräber Jugoslawiens“ ging der Politiker in die Geschichte ein. Einen ersten Spatenstich dazu hatte er am 28. Juni 1989 mit einer Rede auf dem Amselfeld im Kosovo gesetzt. Millionen seiner Landsleute waren zu dem mythischen Ort gepilgert, an dem 600 Jahre zuvor ein serbisch geführtes Heer gegen die Truppen des osmanischen Sultans Murad I. gekämpft hatte. Milosevic beschwor sein Publikum zu Einheit und Heldentum – und schloss in wolkigen Worten Waffengänge in der Zukunft nicht aus.

Die Saat ging auf, auch weil Milosevic mit seinen nationalistischen Ambitionen nicht allein war. Serben, Slowenen, Kroaten, Bosniaken, Albaner und Mazedonier – jeder wollte seine Ansprüche im zerfallenden Jugoslawien sichern. 1992 begann in Slowenien ein blutiger Reigen von Kriegen. Die Konflikte kulminierten vor 25 Jahren, im Juli 1995, in dem Massaker von Srebrenica.

Das ehemalige Kurbad im heutigen Bosnien-Herzegowina steht seither für das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Immer noch suchen Menschen nach ihren Angehörigen. Immer noch graben Spezialisten Überreste von Opfern aus. Die jüngsten waren Kinder, als man sie erschoss, die ältesten hatten die 90 überschritten.

Rund 8.100 Tote wurden bislang exhumiert und identifiziert. Die große Mehrheit von ihnen war männlich, bosnisch und muslimisch. Und musste sterben, weil die von Ratko Mladic geführten serbischen Truppen die bosnischen Muslime ein für alle mal aus den von ihnen beherrschten Territorien vertreiben wollten.

Warum die Situation eskalierte, hatte nach Einschätzung der Münchner Historikerin Marie-Janine Calic viele Gründe. Unter den bis zu 60.000 Menschen, die sich unter verheerenden hygienischen Bedingungen im umkämpften Srebrenica drängten, befanden sich nicht nur Zivilisten, sondern auch bosnische Soldaten.

Doch Mladic und Karadzic, die später vor dem UN-Tribunal in Den Haag als Kriegsverbrecher abgeurteilt wurden, ließen sich Calic zufolge keineswegs nur von Rachegefühlen steuern. „Dahinter stand auch politisches und militärisches Kalkül“, betont die Expertin für die Geschichte Südosteuropas.

Denn während einige europäische Staaten mit den USA und Russland über eine Friedensordnung brüteten, wollten die bosnischen Serben im Sommer 1995 Fakten schaffen für einen ethnisch „reinen“ Serbenstaat. Am 9. Juli zog sich ihr Belagerungsring immer enger um Srebrenica, und Karadzic gab grünes Licht für die Einnahme der Stadt.

Nun überschlugen sich die Ereignisse. Die im nahe gelegenen Potocari stationierten UN-Blauhelme sahen hilf- und tatenlos zu, wie die Serben im Lauf des 11. Juli die Kontrolle über Srebrenica übernahmen. Vergeblich forderte der niederländische Kommandeur Thomas Karremans eine umfassende Luftunterstützung durch Nato-Verbände an.

Einige seiner 600 Soldaten befanden sich da bereits in der Hand der Serben. Sein Gegenüber Mladic setzte bei den Verhandlungen auf Einschüchterung, nachdem zwei niederländische Nato-Flugzeuge – es sollten die einzigen bleiben – einen Panzer außer Gefecht gesetzt hatten: „Spinnen Sie nicht rum! Haben Sie befohlen, auf meine Armee schießen zu lassen?“, herrschte er Karremans an.

Unterdessen suchten schätzungsweise 25.000 Menschen Zuflucht in Potocari. Hitze, Hunger und Durst quälten die Verzweifelten, Gerüchte von Vergewaltigungen und Hinrichtungen machten die Runde. Tatsächlich scheint in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli die Entscheidung gefallen zu sein, alle bosniakischen Jungen und Männer zu liquidieren.

Am 13. Juli fanden die erste Exekutionen statt. Das große Morden dauerte bis zum 17. Juli. Mladic ließ sich am 12. Juli von einem Fernsehteam bei einem Besuch in Potocari filmen. Lächelnd sagte er den Flüchtlingen: „Habt keine Angst, keiner wird euch was tun.“

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Das Fasten erfolgreich abschließen

Fasten

Das Siegel einer Handlung – die Art und Weise, in der sie vollendet wird – ist immer der wichtigste Teil. Das gilt auch für das Fasten.

(iz). So schnell sich der Fastenmonat nähert, so schnell ist er für manchen schon wieder vorbei. Es gibt eine Tendenz, sich auf das Danach zu freuen, nachzulassen und auf seinen Abschluss zu hoffen. Diese Neigung verstärkt sich noch einmal nach der Nacht zum 27. Ramadan. Was für viele von dem Monat bleibt, ist Warten. Das ist eine gefährliche Haltung und sie droht, alle erheblichen Anstrengungen nichtig zu machen. Denn es sind auch hier die letzten paar Meter, die den Erfolg oder Misserfolg ausmachen.

Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden gaben, sagte: „Die Handlungen sind entsprechend ihres Abschlusses.“ Das Siegel einer Handlung – die Art und Weise, in der sie vollendet wird – ist immer der wichtigste Teil. Wir können unser ganzes Leben einen besonderen Kurs verfolgen und in eine spezifische Richtung gehen, wenden wir uns aber schließlich ab, dann war die gesamte Mühe umsonst.

Fasten

Foto: Nate Pesce

Das Fasten bis zum Schluss konsequent vollenden

Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Jemand unter euch mag die Taten der Leute des Gartens vollbringen, bis nur geringer Abstand zwischen beiden liegt, und dann holt ihn sein Schicksal ein und er handelt wie die Leute des Feuers, in das er eintreten wird.“ Wir müssen bis zum letzten Moment weitermachen, nicht nachlassen und uns nicht abwenden, bis unsere Unternehmung vollendet ist. Das gilt für jeden Lebensbereich.

Sportler rennen, Studentinnen büffeln und die Leute Allahs widmen ihre Zeit vollkommen der Anbetung Allahs. Das gilt insbesondere für den Fastenmonat. Das Fasten und das Stehen (im Gebet) in diesem Monat fordert seinen Preis. Je weiter diese Spanne voranschreitet, desto schwieriger wird es. Es droht, dass wir einen Teil unseres Schwungs, unserer Energie und Frische verlieren, die seinen Beginn auszeichnete. Aber die Leute Allahs nutzen das nicht als Entschuldigung, um langsamer zu werden und weniger zu tun. Darin folgen sie dem Vorbild unseres edlen Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben.

Die letzten zehn Nächte zählen

Unsere Meisterin ’Aischa sagte: „Der Gesandte Allahs pflegte sich in den letzten zehn Nächten des Ramadan noch härter anzustrengen als im Rest des Jahres.“ Er verdoppelte seine Bemühungen, betete mehr in der Nacht, rezitierte mehr Qur’an und verbrachte mehr Zeit in der Moschee.

Ibn ’Umar berichtete: „Der Prophet verbrachte die letzten zehn Tage des Ramadans in der Moschee, wo er im I’tikaf war.“ I’tikaf ist ein sehr empfehlenswerter Akt der Anbetung für Männer und Frauen. Er ist sehr populär, aber die Leute haben angefangen, manchmal lax mit einigen Elementen umzugehen, die eigentlich wesentlich dafür sind.

Der erste Bestandteil ist die Moschee. Hierhin zieht man sich zurück. Und diese Zone kann nur für einen wirklich triftigen Grund verlassen werden wie den Gang zur Toilette oder die Gebetswaschung. Nicht bloß, weil man gelangweilt ist oder einen Wechsel der Szenerie wünscht. Der zweite ist der Beginn. I’tikaf beginnt mit dem Abendgebet (arab. Maghrib) des Vorabends. Selbst, wenn man eine Minute danach eintrifft, ist dieser Tag nicht gültig.

Und schließlich ist auch die Verwendung der Zeit wichtig. Viele Menschen im I’tikaf nutzen einen Großteil ihrer Zeit für das Gespräch mit anderen Leuten. Das ist aber nicht der Zweck. Im I’tikaf ist man mit seinem Herrn alleine. Und Er ist der Einzige, mit dem man sprechen soll – in Form des Gebetes oder der Anrufung. Ansonsten sollte man die Zeit mit Dhikr und dem Qur’an füllen.

Foto: Positive Moslem Attitude, Unsplash

Das Stehen im Gebet

Der andere, wichtige Akt der Anbetung – neben dem Fasten – in diesen letzten zehn Tagen ist das nächtliche Stehen im Gebet (Qijjam Al-Lail). Diese zehn Nächte fallen mit der besten Nacht des Jahres zusammen. Eine Nacht, deren Wert größer ist als der von tausend Monaten. Diese Lailat Al-Qadr entspricht somit einer ganzen Lebenszeit.

Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Sucht nach der Lailat Al-Qadr in den letzten zehn Nächten des Ramadan.“ Sie kann sich in einer dieser zehn Nächten ereignen; am wahrscheinlichsten in einer ungeraden und insbesondere in der 27. Jeder sollte dafür beten, dass er oder sie zu denjenigen gehört, die sie finden und von ihrem Nutzen profitieren.

Der Din ist ein enormer Segen von Allah. Und es findet sich darin Freude in den Anfängen und am Ende (des Ramadan). So wie er begann, endet der Monat mit der Sichtung des Mondes. Es gibt einige Regeln in Hinblick auf den Feiertag und wir tun gut daran, sie zu vergegenwärtigen.

Das ‘Id-Gebet

Zuerst gibt es das ’Id-Gebet. Es ist eine bekräftigte Sunna. Nach dem Witr-Gebet, dem abschließenden, ungeraden Gebet nach dem Nachtgebet, ist es das am stärksten betonte Gebet unter den Sunnan. Obwohl es am besten an einem dafür festgelegten Ort unter freiem Himmel verrichtet wird, ist es doch möglich, es in einer Moschee zu tun. Jeder sollte an ihm teilnehmen – Männer und Frauen, Junge und Alte. Umm Atija überlieferte: „Der Gesandte Allahs ermutigte junge, unverheiratete Frauen, ältere Damen, solche, die sich in ihren Häusern zurückzogen, und sogar Menstruierende, zum Feiertagsgebet zu kommen.“

Vor dem Gebet vollzieht man eine Ganzkörperwaschung (arab. Ghusl), bricht sein morgendliches Fasten und trägt die beste Kleidung. Am besten ist ein frühes Eintreffen am Ort des Gebetes, um sich den Takbirat anzuschließen – dem lauten Dhikr vor dem Gebet. Sie sind eine der großen Scha’a’ir, der äußeren Manifestationen der Kraft und Vitalität des Islam.

Foto: journaldumusulman.fr

Die Zakat Al-Fitr ist zu beachten

Ibn ’Umar überlieferte: „Der Gesandte Allahs machte es für jeden Muslim – Freien oder Dienern, männlich oder weiblich, jung oder alt – zur Pflicht, die Zakat Al-Fitr zu zahlen.“ Die besteht aus einem Sa’ (medinensisches Volumenmaß) von haltbaren Lebensmitteln pro Kopf (in Medina waren dies Gerste oder Datteln). Sie müssen gezahlt werden, bevor die Leute zum Feiertagsgebet hinausgehen. Bei der Abgabe handelt es sich nicht um irgendeinen bloß empfohlenen Vorgang, wie manche meinen, sondern um eine Pflicht.

Sie gilt nicht nur für die Wohlhabenden, sondern für alle verantwortungsfähigen Muslime (arab. mukallaf) – ungeachtet von sozialem Rang, Alter, Geschlecht oder Besitz. Sie schließt auch jene mit ein, die arm sind oder üblicherweise Empfänger der Wohlstandsabgabe (arab. Zakat) sind. Die einzige Ausnahme stellen jene dar, die so mittellos sind, dass ihnen die grundlegenden Mittel für sich und ihre Familien am Feiertag fehlen. Bezahlt wird diese Feiertagsabgabe vom Kopf eines Haushaltes entsprechend der Menge derjenigen, für die er oder sie verantwortlich ist.

Fällig wird sie in haltbaren Grundnahrungsmitteln des Landes, in dem man sich aufhält. Nach den bekannten Ansichten von Imam Malik und Imam Asch-Schafi’i ist ein Ersatz durch Geld unzulässig. Empfohlen ist, dass das gegebene Essen von der höchstmöglichen Qualität ist, obwohl es ausreichend ist, dass es auf gleicher Höhe zu dem ist, was die Gesellschaft durchschnittlich gewohnt ist.

Gegeben werden muss sie vor dem ’Id-Gebet – auch ein oder zwei Tage vorher sind zulässig. Der Prophet sagte: „Wenn ihr sie vor dem Gebet abgebt, ist sie angenommen. Aber wenn ihr sie nach dem Gebet zahlt, ist sie das Gleiche wie jede andere Spende.“ Im Gegensatz zur eigentlichen Zakat ist es hier am besten, sie selbst und persönlich zu verteilen, wenn man jemanden kennt, der sie empfangen darf.

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Ramadan in Sarajevo – Gemeinschaftlichkeit, die nicht schläft

Sarajevos Moscheen sind zum Tarawwih-Gebet stets gefüllt mit jenen, die regelmäßig in der Gemeinschaft beten und solchen, die sich vom Geist des Ramadan besonders inspiriert fühlen. (iz). Sarajevo ist eine […]

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Von der Bedeutung des Opfers

(iz). Am 9. Juli dieses Jahres begehen wir den höchsten islamischen Feiertag – ‘Id Al-Adha –, der auch als ‘Id Al-Kabir bezeich­net wird. Jedes Volk, jede Gemeinschaft und jede Gesellschaft hat seine beziehungsweise ihre Feiertage. Wir haben zwei Hauptfeiertage: ‘Id Al-Adha, der Tag, an dem die Hadsch endet, und ‘Id Al-Fitr, der das Ende des Fastenmonats Ramadan markiert. Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, stiftete beide Anlässe für seine Gemeinschaft.

Der Unterschied zwischen diesen ­Tagen und jenen Anlässen, an denen wir in der Gesellschaft Anteil haben, besteht darin, dass die Feiertage des Dins der ­Erinnerung Allahs, der Dankbarkeit Ihm gegenüber und dem Verständnis ­unserer Existenz dienen. Tage wie Halloween oder das kommende Weihnachten, von denen unsere Kinder im gesellschaft­lichen Strom mitgerissen werden, werden als gegeben hingenommen. Die ­meisten Leute aber kennen deren Bedeutung(en) nicht. Untersucht man ihre Wurzeln, wird man feststellen, dass sie heidnischen ­Ursprungs sind – sie beziehen sich auf ­Geister, Fruchtbarkeit und dem Zyklus der Jahreszeiten.

Erinnerung an Ibrahim

Unsere Feier des ‘Id Al-Kabirs ist die größte Feier des Dins, weil sie seinen Höhepunkt darstellt. Sie ist eine Erinnerung an das Opfer von Saijiduna Ibrahim und die Riten der Hadsch – der Umkreisung der Kaaba (Tawaf), das Hin- und Herlaufen zwischen Safa und Marwa (Sa’i), das Stehen auf der Ebene von ‘Arafat, das Anlegen des Ihrams, sowie das Opfern eines Tieres. Diese Riten haben eine Bedeutung, die am besten durch die Anrufung der Pilgernden selbst beschrieben wird: „Labbaik, Allahumma labbaik, labbaik, la Scharika laka, labbaik (Oh Allah, hier bin ich. Ich ergebe mich Deinem Willen und bin Dir gehorsam. Du hast keinen Teilhaber).“

Dies war der Ruf von Saijiduna Ibrahim und seines Sohnes Isma’il, nachdem Allah sie von der Verpflichtung entließ, Isma’il zu opfern. Das ist der Ausdruck maximalen Gehorsams und absoluter Aufrichtigkeit. Der Prophet Ibrahim war dabei, seinen Sohn zu opfern, und ­Allah entließ ihn von dieser Verpflichtung, indem jener das beste Schaf opferte.

Warum hat Allah diese unfruchtbare Einöde gewählt, in der nichts wachsen kann? Saijiduna Ibrahim baute in reinem Gehorsam gegenüber Allah das erste Haus, an dem Allah angebetet wurde. Dies ist der gleiche Ort, den Millionen Muslime heute für ihre Hadsch aufsuchen. Millionen weiterer Muslime in aller Welt fasten vor dem ‘Id, wenn der Tag des Stehens auf der Ebene von ‘Arafat kommt. Jene Riten und jener Ort stehen in Beziehung zum Opfer Ibrahims und dem von ihm errichteten Haus.

Allah sagt im Qur’an: „Ibrahim war eine Gemeinschaft, Allah demütig ergeben und einer, der Anhänger des rechten Glaubens war, und er gehörte nicht zu den Götzendienern; dankbar (war er) für Seine Gnaden. Er hatte ihn erwählt und zu einem geraden Weg geleitet.“ (An-Nahl, Sure 16, 120)

Schaikh Waliullah von Delhi sagte über Saijiduna Ibrahim, dass die Macht seiner Zuneigung Allah gegenüber so stark war, dass er den Kurs der gesamten prophetischen Nachfolger bis zum Propheten Muhammad festlegte. Seine Unterwerfung unter und seine Anerkennung von Allah mit jedem Atemzug und in jedem Augenblick wird mit der Eigenschaft „Hanif“ bezeichnet. Kein Ereignis in der sozialen Welt konnte ihn von der Gegen­wart Allahs ablenken.

Schaikh Ibn Al-’Arabi erklärte ihn in seinem „Fusus Al-Hikam (Siegelsteine der Weisheit)“ den ehrenden Beinamen Ibrahims „Al-Khalil“. Oft wird dieses Wort als „enger“ oder „intimer Freund“ übersetzt. Die Wurzel des Wortes bedeu­tet so viel wie „von etwas durchtränkt“ beziehungsweise „gesättigt sein“. Sein Wesen war von der Gegenwart Allahs durchtränkt. Das ist es, woran wir uns am ‘Id Al-Kabir erinnern.

Die Symbolik der Umkreisung der ­Kaaba ist die Umkreisung der Planeten um die Sonne. Jeder einzelne hat seinen Orbit. Gleichermaßen kreisen auch die Menschen auf einer, ihnen ­angemessenen Umlaufbahn. Jeder von uns muss seinen Ort finden, an dem ihn Allah platziert hat. Dort muss er Allah anbeten und Ihn zufrieden stellen.

Seine demütige Ergebenheit zeigte sich in jedem Augenblick und ohne Kompro­miss. Der Sa’i zwischen Safa und Marwa ist ein Akt der Barmherzigkeit so wie die verzweifelte Sorge der Mutter um ihr Kind, die bereit ist alles zu tun, um den Durst ihres Kindes zu stillen. Es war die Gnade Allahs, die Ehefrau Ibrahims mit einer Quelle zu versorgen, um ihren Durst zu stillen. Seine Gnade machte dieses öde Stück Wüste zu einem Ort, an dem sich die Stämme begegnen ­konnten. Sie ließen sich hier nieder und beschützten das Heiligtum von Saijiduna Ibrahim. Dank des Handels kamen ­Versorgung und Wohlstand nach ­Mekka. Die Anbetung Allahs blieb bis zum heutigen Tage.

Das Stehen auf der Ebene von ‘Arafat ist eine Vorbereitung für den Jüngsten Tag. Hier sind Wohlstand, Ruhm oder Position ohne Bedeutung. Alle sind in die gleichen, simplen Tücher gekleidet, die denen ähneln, in die wir nach unserem Tode gehüllt werden. Es ist die ­Begegnung mit unserem Herren durch unsere Taten, mit unserer Gottesfurcht und unseren Absichten.

Bedeutung des Opfers

Das Begehen der beiden Feiertage ist eine Manifestation von Dankbarkeit, Freude und Anerkennung der ­Geschenke Allahs.

Auf seiner letzten Hadsch, wenige Monate vor seinem Tod, hielt der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, seine Abschieds-Khutba (Ansprache). Er erwähnte dort nur sehr wenige Dinge. Dies waren Ratschläge an seine Umma – für die kommende Jahre und Jahrhunderte. Er erklärte die Zeit der Dschahilija (arab. Unwissenheit) für beendet, in der die Leute stolz auf ihren Stamm oder ihre Herkunft waren. Er sprach über die Unverletzlichkeit von Leben, Ehre und Eigentum. Er hielt uns Muslime dazu an, unsere Frauen gut zu behandeln. Der Prophet erinnerte seine Umma daran, den Wucher zu meiden und ihn zu verbieten. Und er bat die ­Leute zu bezeugen, dass er seine Botschaft übertragen hatte.

Eine andere Sache, von der er sprach, war: „Ich hinterlasse euch zwei Dinge, die euch – wenn ihr daran festhaltet – niemals in die Irre gehen lassen: das Buch Allahs (…) und meine Sunna.“ Mit dem „Buch Allahs“ ist auch das Studium, Erlernen und die Praktizierung des Qur’ans gemeint. „Sunna“ ist nicht, wie viele moderne Muslime meinen, ein Text.

Vor Kurzem traf ich auf einer internationalen Konferenz einen sehr feinen, intellektuellen Araber. Dieser meinte: „Der Islam ist nichts als Text (Nusus).“ Dies ist eine Position, die viele Mus­lime heute einnehmen. Demnach wäre der Din etwas, das sich auf dem Papier befindet.

Das ist nicht wahr. Islam ist eine Aufrichtigkeit, die die Welt verändern kann. Das ist es, was die anderen nicht haben, wie der Prophet ­sagte: „Ich hinterlasse euch zwei Dinge, die euch – wenn ihr daran festhaltet – niemals in die Irre gehen lassen: das Buch Allahs und meine Sunna.“ Das heißt, wenn wir ­daran festhalten, können wir nicht in die Irre gehen – in diesem Leben und im nächsten. Diese Khutba war für seine ganze Gemeinschaft. Er hielt sie vor 120.000 Leuten und sagte den Anwesen­den, dass sie diese an die anderen weiter­geben sollten. Vielleicht können die Abwesenden diese Worte besser verstehen als die Anwesenden.

„Meine Sunna“ bedeutet sein Modell, sein Charakter, seine Eigenschaften, Vorbild und Verhaltensweise. Diese Sunna und die Fitra, für die Ibrahim stand, sind unser Umkehrpunkt, an dem wir ein Vorbild finden, anhand dessen wir unse­re Geschäfte auf eine Art und Weise täti­gen können, die Allah zufrieden stellt.

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Dauerhaft stressfrei leben

(iz). Laut einer vor wenigen Jahren erhobenen Studie des Robert-Koch-Instituts klagen 13,9 Prozent der Frauen und 8,2 Prozent der Männer über chronischen Stress. Wer regelmäßig an starken Stressbelastungen leidet, spürt nicht nur eine zunehmend größer werdende Anstrengung im Alltag, sondern riskiert auch gesundheitliche Konsequenzen. Doch was ist überhaupt chronischer Stress und welche Anzeichen sollte man kennen, um sich besser zu schützen? Von Muharrem Ünlü

In seiner allgemeinsten Definition kann chronischer Stress als eine regelmäßig wiederkehrende Belastungssituation beschrieben werden. Ist man einmal in eine chronische Stressphase hineingeraten, besteht die größte Gefahr, dass der Stress körperlich und mental zur Gewohnheit wird. Das alltägliche Erleben und Verhalten reduzieren sich immer weiter auf die Stress verursachende Problematik. In diesem Modus wird die Stressempfindung regelrecht einverleibt. Die Biochemie und das Nervensystem unseres Körpers stellen sich auf Stressabwehr ein und verbleiben in diesem Reaktionsmuster, sofern sich an den Lebensumständen nichts verändert. Langfristig kann die permanente Aktiviertheit der körperlichen Stressabwehr allerdings zu Folgeerkrankungen führen.

Laut der Global Burden of Disease Studie aus dem Jahr 2015 zählen ein hoher Blutdruck, Rauchen, hoher Body-Mass-Index, hohe Blutzuckerwerte, hohe Blutfettwerte und riskanter Alkoholkonsum zu den sechs größten Gesundheitsrisiken in Deutschland. All diese Risiken müssen zwar nicht zwangsläufig, können aber sehr stark mit chronischem Stress zusammenhängen. Daher sollten Stressbewältigung und das Bemühen um die mentale Gesundheit nicht bloß als Randthema betrachtet werden. Vielmehr ist sie ein wesentlicher Motor für die nachhaltige Aufrechterhaltung des eigenen Wohlbefindens.

Worauf sollte man achten, um frühzeitig gegenlenken zu können?

Im Wesentlichen gibt es vier Ebenen, auf denen sich chronischer Stress bemerkbar machen kann. Die Reihenfolge dabei entspricht keiner natürlichen Rangordnung. Welche Ebene in welcher Form zur Geltung kommt, ist von Person zu Person unterschiedlich. Je mehr man die Selbstbeobachtung auf diesen Ebenen übt, umso besser wird man darin. Dies wiederum wird die persönliche Fähigkeit stärken, gut funktionierende Antennen gegen chronischen Stress zu entwickeln. Dies ist nicht nur für einen selbst von Vorteil, sondern auch für Personen des Umfelds. Denn die Antennen, die bei einem selbst gut funktionieren, können auch dabei helfen, andere Menschen auf eine Stressproblematik aufmerksam zu machen, die sie selbst gerade nicht erkennen können.

Die Gedanken sind die erste Ebene, auf denen sich chronischer Stress zeigen kann. In stressigen Lebensphasen tritt das Grübeln zum Vorschein. Betroffene leiden gerade beim Zu-Bett-Gehen oft darunter, da es nicht selten den Schlaf beeinträchtigt und damit die nächtliche Erholung und das Krafttanken für den nächsten Tag negativ beeinflusst. Dies kann dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit am Tag abnimmt. In der Folge kann daraus zusätzlicher Symptomstress resultieren, also zusätzlicher Stress auf Basis des ursprünglichen Stressanzeichens.

Emotionen sind eine weitere Ebene, auf denen sich chronischer Stress bemerkbar machen kann. Wenn wir Emotionen als Farben begreifen, ist ein chronisch nicht  gestresstes Gehirn in der Lage, alle Spektren gleichermaßen abzubilden. Durch chronischen Stress und den zunehmend ausschließlichen Fokus auf z.B. Leistungsverhalten wird dem Gehirn die Fähigkeit abtrainiert, alle Farben abbilden zu können. Das vormals viel buntere Gehirn reduziert sich immer weiter auf einige wenige Farben. Im schlimmsten Fall erkennt es nur noch die Farbe Schwarz. An diesem Punkt befindet man sich an der Schwelle zu einer Depression.

Die nächste Ebene ist das Verhalten. Für gewöhnlich neigen die meisten Menschen instinktiv dazu, den Stress ausgleichen zu wollen. Entweder aus Mangel an ausreichender Zeit oder alternativen Handlungen kann es dabei dazu kommen, dass als Strategie gegen den Stress Betäubungsverhalten verfolgt wird. Das kann sich dann in Form von Suchtmittelkonsum ausdrücken. Es kann sich aber auch in alltäglicheren Dingen zeigen, die in moderatem Ausmaß vielleicht sogar eine gute Strategie zum Ausgleichen wären, wie das Smartphone-Gaming oder der Konsum von Filmen und Serien. Werden diese Aktivitäten allerdings exzessiv betrieben, sodass sie zur ausschließlichen Freizeitbeschäftigung werden oder andere Lebensbereiche beeinflussen, kann auch dies ein Hinweis auf chronischen Stress sein.

Abschließend ist der Körper die letzte Ebene. Chronischer Stress kann ab einem gewissen Zeitpunkt zu unterschiedlichen körperlichen Reaktionen führen. In der Folge wird nicht selten der Hausarzt hinzugezogen. Dieser kann dann entweder keine körperliche Ursache für die Beschwerde vorfinden. Oder aber es wird zunächst lediglich das Symptom behandelt, bis nach einer längeren Odyssee ein Bezug zur Stressbelastung erkannt wird.

Die weiter oben bereits erwähnten Gesundheitsrisiken können hierzu als beispielhafte Symptome dienen. Jedoch sind diffusere Beschwerden wie ein Engegefühl in der Brust, ein Druckgefühl im Kopf oder Zähneknirschen während des Schlafs ebenfalls möglich. Nicht unwahrscheinlich sind auch Panikattacken, sofern der chronische Stress unberücksichtigt bleibt und in manchen Fällen zu Angstzuständen führt.

Dieser Artikel wurde geschrieben von Muharrem Ünlü, B.Sc. Psych. Der Autor ist spezialisiert auf das Thema Stressbewältigung und mentales Wohlbefinden bei Führungskräften, Selbstständigen und Unternehmern. Bei Bedarf kann er über seine Webseite kontaktiert werden.

Was ist die Zeit des Ramadans?

(iz). Die Sache, die wir als Zeit kennen, ist nicht einheitlich. Es gibt unterschiedliche Zeiten. Unsere Wahrnehmung ändert sich mit dem Verlauf unseres Lebens – das gleiche gilt für einen Tag. Einige Augenblicke haben mehr Bedeutung, andere mehr Segen (arab. baraka). Einige verfliegen im Fluge, andere ziehen sich so lange hin, dass sie sich wie eine Ewigkeit anfühlen.

Teil dessen hat mit unseren Zuständen und Wahrnehmungen zu tun. Aber ein noch größerer Teil liegt an der Art und Weise, in der unser Herr sie erschaffen hat. Nicht alle Zeiten wurden gleich erschaffen. Einige haben bei Allah mehr Gewicht und sind geehrter – zum Beispiel die heiligen Monate, der Tag des Jumuah oder das letzte Drittel der Nacht. Und das gilt besonders für den edlen Ramadan, des größten Monats bei Allah.

Der Prophet, Allahs Heil und Segen auf ihm, sagte: „Der Herr aller Monate ist der Ramadan.“ Es ist einer unvergleichliche Zeit des Jahres – erhaben und qualitativ verschieden von allen anderen. Selbst die ahnungslosesten Muslime, die den Großteil ihres Dins im Rest der 12 Monate vernachlässigen, müssen diese Zeit wahrnehmen. Selbst Leute, die übli­cherweise nicht in der Moschee beten, kommen in dieser außerordentlichen Phase. Seine Eigenschaften sind unzählige, klar erkenn- und wahrnehmbar.

Führen wir einige dieser Eigenschaften auf, damit wir das erhaltene Geschenk besser kennenlernen können. Der Ramadan ist eine unvergleichliche Gabe. Unser Herr hat diesen Monat geehrt, und durch Seine Ehrung auch uns.

Die erste ist das Fasten (arab. sijjam). Dieser Akt der Anbetung wurde gleichbedeutend mit dieser Zeit. Es ist keine alltägliche Art des Gottesdienstes; insbesondere, wenn er eine Pflicht ist. Denn die obligatorischen Handlungen (arab. fara’id) sind die segensreichsten Taten. Allah sagt in einem Hadith Qudsi: „Es gibt keine Handlung, durch die Mein Sklave sich Mir mehr annähern kann und die Mir lieber ist, als jene, die Ich ihm als Pflicht auferlegt habe.“

Das Fasten hebt sich von allen anderen Gottesdiensten ab, denn es ist nicht nur selbst eine Anbetung, sondern verleiht allen anderen zusätzliche Bedeutung und mehr Wert. Es verändert unseren Zustand und macht uns empfänglicher und offener sowie fokussierter und bewusster. Daher ist es an so vielen großen Tagen des Jahres empfohlen. Das Gebet während der Enthaltsamkeit ist signifikanter als außerhalb – ebenso wie die Erinnerung Allahs und die Rezitation des Qur’an. Das Fasten eröffnet Facetten solcher Handlungen, die anderenfalls verschlossen bleiben würden.

Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Alles hat seine Tür – seinen Eingang – und die Tür zur ‘Ibada ist das Fasten.“ Nicht nur verleiht es Akten der Anbetung eine zusätzliche, besondere Bedeutung, sondern auch täglichen Dingen, die andernfalls keinen gesonderten Wert haben. Das Essen des Suhurs (die Frühmahlzeit des Fastens) sowie des Iftars (Mahlzeit zum Fastenbrechen) sind wichtige Quellen für Belohnung – genauso wie Ruhe und Schlaf. Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, sagte über letzteren Punkt: „Der Schlaf des Fastenden ist ein Akt der Anbetung.“

Als Anbetung als solche kennt das Fasten nicht seinesgleichen. Es gehört zu einer einzigartigen Kategorie und bringt mit sich eine intime Verbindung zu unserem Herrn und Schöpfer. Allah sagt in einem Hadith Qudsi: „Jede gute Tat wird um das zehn- bis siebenhundertfache multipliziert. Davon ausgenommen ist das Fasten. Dieses ist für Mich und nur Ich gebe [kenne] die Belohnung dafür.“ Es hat sogar sein eigenes Tor im Garten, das direkt in die Gegenwart unseres Schöpfers führt, wo Er uns empfängt und ermöglicht uns an Seiner Schau zu erfreuen. Al-Ghazali berichtete, dass der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Der Garten hat ein Tor namens Ar-Rajjan, durch das nur die Fastenden hereingelassen werden. Es ist das Versprechen des Treffens mit Allah als Belohnung für den Fastenden.“

Der zweite Weg, auf dem Allah den Ramadan ehrt, geschieht durch Sein Buch. Denn es wurde in dieser Zeit offen­bart und ist der Monat, an dem es in unser gemeinschaftliches Leben tritt. Allah sagt: „Der Monat Ramadan (ist es), in dem der Qur’an als Rechtleitung für die Menschen herabgesandt worden ist, als klarer Beweis der Rechtleitung und der Unterscheidung.“ (Al-Baqara, Sure 2, 185) Seine deutlichen Zeichen sind niemals klarer als in dieser Phase. Das Gleiche gilt für unsere Fähigkeit zu ihrem Hören, Schmecken und Versehen. Unsere Sinne sind niemals schärfer und besser als jetzt. Viele Barrieren zwischen unseren Herzen und den Bedeutungen in den Worten Allahs werden geschwächt und entfernt. Also sollten wir das Buch Allahs zu unserem konstanten Gefährten in den Tagen und Nächten des Ramadan machen.

Die dritte Art und Weise, auf welche diese Zeit herausgehoben wird, geschieht durch die Eigenschaft der Geduld (arab. sabr). Ramadan ist der Monat von Sabr. Hier erhalten die gewohnheitsmäßigen Ungeduldigen einen Geschmack dieser enormen Charaktereigenschaft, die im Kern des Herzens eines wahren Gläubigen liegt.

Der Prophet, Allahs Heil und Segen auf ihm, sagte hierzu: „Es ist der Monat von Sabr. Und die Belohnung von Sabr ist der Garten.“ Und er, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte auch: „Sabr ist die Hälfte des Iman.“

Das vierte Element ist die Großzügigkeit. Das betrifft sowohl die unseres Herrn gegenüber uns als auch die unter uns. Sie umfasst Handlungen, Meinungen und materielle Dinge. Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, sagte dazu: „Dies ist der Monat des freigiebigen Schenkens. Und der Monat, in dem die Versorgung eines Gläubigen erhöht wird.“ In Hinblick auf die göttliche Großzügigkeit erweitert Er unsere Versorgung (arab. rizq), vervielfacht die Belohnung für unsere Handlungen und hält die Schajatin – und diejenigen, die uns einflüstern und uns in die Irre locken – unter Schloss und Riegel. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Wenn Ramadan kommt, werden die Tore des Gartens aufgestoßen, die Tore zum Feuer verschlossen und die Schaitans angekettet.“ Und für die gegen­seitige Freigebigkeit gilt: Ansonsten verschlossene Häuser öffnen den Gästen ihre Türen in beinahe nächtlicher Regelmäßigkeit. Zerbrochene Bindungen werden neu geknüpft und grobe Worte durch ein Willkommen ersetzt. Selbst den Elendesten gibt Allah eine Gelegenheit zum Geben, sei es auch nur ihre Gesellschaft und ihr guter Wille.

Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, sagte: „Jeder, der einem Fastenden etwas bringt, mit dem er sein Fasten brechen kann, wird die Belohnung erhalten, die der Befreiung eines Sklaven entspricht. Und seine falschen Handlungen werden vergeben. Außerdem erhält er die Belohnung für das Fasten derjenigen, die er ernährt hat, ohne die Belohnung dieser Person in irgendeiner Weise zu mindern.“ Allahs sagt in Seinem mächtigen Buch: „Was aber jemanden angeht, der den Stand seines Herrn gefürchtet und seiner Seele die Neigungen untersagt hat, so wird der Garten sein Zufluchtsort sein.“ (An-Nazi’at, Sure 79, 40-41)

Wie oben bereits gesagt, erfährt die Zeit des Ramadan ihre herausragende Stellung durch die tägliche Enthaltsamkeit. Aber echtes Fasten ist mehr, als die meisten vermeinen. Es handelt sich hier nicht nur um das sich enthalten von Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr – selbst wenn das die Definition seines rechtlichen Rahmens ist. Das ist nur der Beginn. Und sie betrifft zwei der sieben körperlichen Aspekte – den Magen und den Intimbereich.

Hierzu gehört auch die Entsagung von den Leidenschaften und falschen Handlungen des Restes – der Zunge, Augen, Ohren, Händen und Füßen. Wer das nicht tut, obwohl er rechtlich legal fastet, wird einen Monat voller Hunger und Erschöpfung haben. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „So viele, die fasten, bekommen nur Hunger und Durst (…). Und so viele, die die Nacht im Gebet stehen, bekommen nur Müdigkeit und Schlafstörungen.“ Es nutzt nur wenig, sich das andernfalls Erlaubte zu versagen, wenn man sich das zugesteht, was üblicherweise untersagt ist. Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, sagte hierzu: „Wenn jemand nicht von Meineid oder falscher Handlung ablässt, dann wird Allah das Aufgeben seines Essens und Trinkens nicht wollen.“ Dies wird bei Allah den Stellenwert einnehmen, als würde der Betroffene nicht fasten.

Imam Al-Ghazali verbindet denjenigen, der fastet, aber seinen Körpergliedern freien Lauf lässt und sich an Verbotenem beteiligt, mit demjenigen, der seine Gebetswaschung ohne Wasser vollendet. Er wischt über seine Hände, Gesicht, Arme, Kopf, Füße und vollendet alle rituellen Bewegungen. Aber am Ende ist die Person genauso unrein wie zu Beginn. Das Gebet damit ist wertlos und wird zurückgewiesen. Das gleiche gilt für denjenigen, der nicht im vollsten Sinne des Wortes fastet. Er hat nichts. Alles, was er erreicht hat, ist, sich selbst zu schwächen und zu erschöpfen.

Diese Aussage wird sowohl durch den Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, als auch durch seine Gefährten bestätigt, möge Allah mit ihnen zufrieden sein. Entsagung von Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr ist nichts als der Beginn des Fastens, nicht seine Vollendung. Und während sie es sind, die das Fasten (arab. Sijjam) im legalen Sinne bricht, wird seine Bedeutung – und damit sein Nutzen – durch viele andere Dinge aufgehoben. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Fünf Dinge brechen die Enthaltsamkeit des Fastenden: Lüge, Verleumdung, Rufmord, Meineid und der lustvolle Blick.“ Und er, Heil und Segen auf ihm, sagte auch: „Fasten ist ein Schild. Wenn ihr fastet, dann sprecht keine Ob­szönitäten und redet nicht aus Unwissenheit oder Ärger. Wenn ein Mann euch beschimpft oder versucht, mit euch zu kämpfen, dann geht nicht darauf ein, sondern sagt: ‘Ich faste. Ich faste.’“

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Fetisch, Ware und Verlangen

„Die große Schlacht um die Seele der muslimischen Welt wird nicht für Religion geführt, sondern für den Marktkapitalismus.“ (Vali Nasr, Autor & Obama-Berater)

(iz). Unendliche Märkte, endlose Warenwelten und das gute Gewissen der Kunden, mit dem Kauf etwas fürs Seelenheil getan zu haben. So oder ähnlich präsentiert sich der Geschäftszweig, der den oft bemühten Zusatz „halal/Halal“ besetzen konnte. Was heute nicht alles „halal“ sein will … von Produkten der Lebensmittelindustrie (die jedem Ernährungsberater das Fürchten lehren) bis zu Lingerie und dem Verbraucherkredit. Alles soll der dominanten Melange aus Verlangen, Fetisch und Konsum verfügbar gemacht werden und doch „religiös“ akzeptabel sein.

Agriculture and Agri-Food Canada berichtete, dass um 2011 alleine der Markt für „Halal-Lebensmittel“ auf 632 Milliarden US-Dollar jährlich angewachsen sein soll. Das bedeutet, dass bereits jetzt 17 Prozent des gesamten weltweiten Lebensmittelmarktes dieses Segment abdecken. „Multis wie Tesco, McDonald’s und Nestlé haben das erkannt und ihre Produktlinie erweitert.

Damit keine Missverständnisse aufkommen. Das soll keine moralinsaure Klage über „Konsum“ oder „Gewinn“ sein. Muslime waren seit Anbeginn als erfolgreiche Händler bekannt. Und im islamischen Recht hat sich ein umfangreicher Korpus der Bestimmungen für das Kaufen und Verkaufen entwickelt. Nur: Jene früheren Generationen kamen nie auf den Gedanken, ihren Waren den Anstrich des „Religiösen“ zu verpassen. Ihre Aufmerksamkeit galt der Frage, ob der Modus ihrer ökonomischen Aktivität islamrechtlich und vor Allah akzeptabel war.

Bisher fehlt es an kritischen Einordnungen des planetarischen „Halal-Business“. Wenn überhaupt werden Detailfragen wie „Halal-Standards“ diskutiert. Diese Lücke besetzt nun die US-amerikanische Professorin Faegheh Shirazi. In ihrem 2016 erschienen Band „Brand Islam. The Marketing and Commodification of Piety (Marke Islam. Das Marketing und die Inwertsetzung von Gottesfurcht)“ wirft die Forscherin einen eindrücklichen Blick auf eine neue Sache.

Ihr Ziel sei ein eigenständiger Beitrag im Feld der Kulturstudien. Sie wolle zeigen, wie unzählige Waren – von Lebensmitteln bis Kinderspielzeugen – als „halal“ oder „islamisch“ an muslimische Verbraucher vermarktet werden. Das findet sowohl in traditionell muslimischen Ländern statt, als auch in Staaten mit muslimischen Minderheiten. Laut Shirazi stellen im zweiten Fall diese Produkte und die mit ihnen einhergehende Glücksverheißung (in Zeiten von Ablehnung und Diskriminierung) zusätzlich ein Vehikel der Identitätsbildung dar.

Die Autorin interessiert sich auch für die psychologischen Aspekte des globalen Phänomens: „Dieses Buch konzentriert sich auf die Entwicklung und das Marketing von islamischen Waren, die ich als ‘Marke Islam’ betrachte. Dies geschieht auf der Ebene des Fetischs. Denn muslimische Verbraucher, vielleicht insbesondere diejenigen aus der Mittelklasse, verbinden eine mythische und religiöse Bedeutung mit etwas, das andernfalls als unnützes oder banales Objekt gilt.“ Denn im Halal-Business werden die Idee beziehungsweise „die Werte“ verdinglicht. Es gehe ihr, so Shirazi, nicht um die Geringschätzung aufrichtiger religiöser Motivation, sondern darum, aufzuzeigen, wie spirituelle Symbole des Islam in den Dienst der Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen gestellt würden.

Für die Forscherin ist dieser „Fetisch“ eine höchst erfolgreiche Marketingstrategie. Eine ihrer Mechanismen sei ein wachsender Trend, Kundenbindung zu belohnen, die ausschließlich mit dem Islam verbunden ist. „Diese Exklusivität hat einen neuen Typus der globalen Vernetzung, der gemeinsamen Produktion und Dienstleistung zu einem riesigen Konglomerat ermöglicht, die manche als das ‘Interland’ bezeichnen.“ Darin gebe es Produzenten, die formal „halal“ seien, andere hingegen würden betrügerisch als solche etikettiert.

Eines der – gewinnträchtigen – Missverständnisse ist die Verwechslung der Etikettierungen „halal“ und „islamisch“. Erstere sei, formalrechtlich, „islamrechtlich sanktioniert“, Letztere aber nicht notwendigerweise „halal“. Um sich als islamisch erlaubt zu qualifizieren, müsse das Produkt/die Dienstleistung durch eine entsprechende Autorität beglaubigt werden, beschreibt Faegheh Shirazi eines der Grundaxiome dieses Geschäftszweiges.

Kritische Juristen sehen den Trend, an jeder passenden oder unpassenden Stelle ein Prüfsiegel zu platzieren, mit mehr als nur gemischten Gefühlen. Im islamischen Recht gibt es keinen Zwang, etwas als „erlaubt“ zu kennzeichnen. Alles ist erlaubt, was nicht ausdrücklich und autorativ verboten ist. Gerade die Prophetengefährten sowie führende Gelehrte der formativen Phase der islamischen Rechtslehre hatten große Hemmungen, Dinge oder Handlungen als „erlaubt“ oder „verboten“ zu qualifizieren.

Die beteiligten Produzenten, Händler und Marketingfirmen machen sich, so Shirazi, das Verlangen aufstrebender muslimischer Eliten zunutze, durch den Konsum dieser Produkte „ihre Bindungen zur globalen muslimischen Gemeinschaft“ zu stärken. Der einfache Akt, Hamburger einer „halal-zertifizierten“ Fastfoodkette zu erstehen oder Kosmetik mit „Halal-Logo“ zu kaufen, könne sich psychologisch auswirken.

Die „Marke Islam“ und Kapitalismus gehen laut Faegheh Shirazi Hand in Hand. Clevere Vermarkter würden erkennen, dass die Kaufentscheidung eines Kunden, wenn sie bewusst und mit religiöser Identität verbunden ist, außergewöhnlich vorhersagbar ist. „Daher sind diese Verbraucher außergewöhnlich leicht zu manipulieren.“

Shirazi untersucht die neue Rolle, die Islam in diesem neuen Paradigma erhält: als eine „inwertgesetzte Religion“. Dort wird Gottesfurcht zum Marketing-Werkzeug und zu einem überzeugenden Mittel für den Verkauf von Waren und Dienstleistungen an die muslimische Zielgruppe. Auf der medialen Ebene, die die „Marke Islam“ begleitet, erhält der Din eine ganz neue Bedeutung. Die Autorin hat das Konzept der Inwertsetzung bewusst gewählt.

In ihrem Buch geht Faegheh Shirazi von einer „Kommerzialisierung des Islam“ aus. Sie untersucht den Prozess der Inwertsetzung unter „islamischen“ Vorzeichen und stellt sich die Frage, wie dieses Phänomen das religiöse, kulturelle und ökonomische Leben muslimischer Verbraucher verändert. „Es entstand eine neue Nachfrage nach islamischen Verbrauchsgütern, wo es vorher keine gab.

Dies resultierte in Produkten, die (…) unter den wachsamen Augen von Ayatollahs, ’Ulama und Muftis vermarktet werden.“ In dieser Gemengelage aus Profit und „religiöser“ Absegnung entstehen dann Phänomene, bei denen mechanische Schlachtanlagen von Tonbändern beschallt werden, auf denen „religiöse Formeln“ zu hören sind.

Es ist unfreiwillig komisch, dass die Idee einer „Halal-Wirtschaft“, die gemeinsam mit dem „Islamic Banking“ aus der Ideenschmiede des politischen Islam alter Schule kam, heute gerade und vor allem den globalen Clustern des globalisierten Kapitalismus zugutekommt. Sie ist längst zum Bestandteil des weltweiten Warenverkehrs geworden. Die alte Idee des politischen Islam, „den Westen“ mit seinen Methodologien und Techniken „einzuholen“, führt in dieser Perspektive zur weiteren Integration von Muslimen in dessen Produktions- und Konsumsphäre.

Mit dem wachsenden Wohlstand und einer relativ hohen Geburtenrate, so die Forscherin, gehe eine nennenswert gestiegene Kaufkraft einher. Konzerne wie Nestlé, Colgate-Palmolive, Carrefour und Unilever investierten erhebliche Ressourcen in den aufstrebenden muslimischen Markt. Ein Bericht von 2011 bezifferte Nestlés Verkäufe auf diesem Segment auf über drei Milliarden US-Dollar jährlich. 2014 bezifferte eine Konferenz über „Halal-Tourismus“ im andalusischen Granada diesen Markt (ohne Hadsch und ’Umra) auf mindestens 128 Milliarden US-Dollar.

Nicht nur globale Konzerne profitieren vom nicht mehr ganz so neuen Trend. Während es in muslimischen Ländern vor allem staatliche, halbstaatliche oder öffentliche Prüforganisationen sind, die die heiß begehrten und lukrativen Prüfsiegel vergeben, sitzen in westlichen Staaten Organisationen wie die US-amerikanische IFANCA am Hebel. Im November 2000 trat Muhammad Mazhar Husseini, Mitbegründer und leitender Direktor von IFANCA, zurück. Er kritisierte den Zertifizierungsprozess – den er selbst Jahrzehnte zuvor mit ins Leben rief. Im Rückblick sagte Hussein über sein ehemaliges Ziehkind: „Sie interessieren sich für das Berechnen von Gebühren, das Zertifizieren von Produkten und das Verdienen von Kommissionen.“

Religiöse Speisevorschriften sind zivilisationsgeschichtlich keine Seltenheit. Unüblich ist die bisher nicht gekannte Nachfrage nach religiös sanktionierten Lebensmitteln sowie ihre globale Distribution. Und unüblich ist die sehr neue Vorstellung, Waren oder Dienstleistungen müssten sich einem Prüfungsprozess unterziehen, um „halal“ zu sein. Das „Halal-Siegel, so der Gelehrte Imam Habib Bewley aus Kapstadt, zerstöre das Grundvertrauen der Muslime untereinander.

„Was im siebten Jahrhundert mit einigen (…) Versen begann, die die Absicht innehatten, den Einzelnen zum spirituellen und körperlichen Wohlergehen anzuhalten, wurde unerwartet in ein Phänomen des 21. Jahrhunderts transformiert. (…) Eine gigantische globale Lebensmittelindustrie entstand; angetrieben von betrügerischen Herstellern, ruinösen Mitbewerbern (…) und korrupten Politikern. Am Ende ist es der muslimische Verbraucher, ausgebeutet und verwirrt, der am meisten zu verlieren hat“, lautet eine der Quintessenzen von Faegeh Shirazi.

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„Es gab nie ein christlich-jüdisches Abendland“

(iz). Armin Langer ist für seine Bemühungen um einen jüdisch-muslimischen Dialog bekannt.. Der Gründer der Salaam-Shalom Initiative veröffentlichte jetzt ein Buch mit dem Titel „Jude in Neukölln“. Wir sprachen mit ihm über seine Wahlheimat und Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamhass.

Islamische Zeitung: Sie schwärmen als Jude von Neukölln und widmen ihm ein ganzes Buch. Für viele ist das ein Widerspruch…

Armin Langer: In den letzten Jahren sind sehr viele jüdische Migranten nach Berlin, speziell Neukölln, gezogen. Aus Israel, den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Die Gegend ist für uns ziemlich anziehend. In Neukölln sind Minderheiten die Mehrheit. Hier leben 150 unterschiedliche Nationen, da fühlt man sich nicht unbedingt anders als der Rest. Für israelische Juden kommt hinzu, dass Neukölln durch das arabische Leben sehr attraktiv ist, man findet die gleichen Läden wie in Israel. Die arabische und die israelische Küche ähneln sich sehr. Berlin ist außerhalb von Israel, soweit ich weiß, der einzige Ort, wo die Anzahl der jüdischen Einwohner wächst.

Islamische Zeitung: Es wird oft davon gesprochen, dass ein Ort mit vielen Arabischstämmigen für Juden gefährlich sei. Sehen Sie und ihre jüdischen Freunde das anders?

Armin Langer: Ja, israelische oder amerikanische Juden mit Sicherheit. Weniger aber russische oder deutsche Juden. Die Behauptung an sich ist sowieso vereinfachend. Aber diejenigen, die behaupten, Neukölln sei eine No-Go-Area für Juden, sind vor allem russischstämmige Juden. Das liegt auch daran, dass ihnen die alltägliche Begegnung mit Neuköllnern beziehungsweise Muslimen fehlt.

Islamische Zeitung: Wie viele Juden gibt es in Neukölln und wie viele davon erreichen Sie?

Armin Langer: Mit den Veranstaltungen von Salaam-Shalom erreichen wir Tausende Berliner. Aber das sind eben nicht nur Juden, sondern breitgefächert alle möglichen Leute. In Neukölln gibt es vielleicht so um die 1.000 Juden. Im Vergleich zu anderen Bezirken ist das viel.

Islamische Zeitung: Gibt es jüdische Stimmen, die Ihnen vorwerfen, das zu romantisch zu sehen?

Armin Langer: Ja, die gibt es natürlich. Aber eben nicht unter den Neuköllner Juden. Mal von der Behauptung Neukölln speziell sei eine No-Go-Area für Juden, abgesehen, halte ich grundsätzlich nichts von dieser Rhetorik. Im Tagesspiegel gab es vor einer Weile einen Bericht darüber, dass sich nicht einmal die Polizei in den Rollbergkiez traue. Und im Rollbergkiez gibt es eine der größten Schwulenbars der Stadt, ein Kino und, wenn das nicht genug wäre, eine Polizeistation. Und das soll eine No-Go-Area sein? Diese Geschichten über solche rechtlosen Viertel sind in Deutschland nicht relevant, nicht wahr. In Deutschland herrscht Ordnung.

Islamische Zeitung: Halten Sie das also für Populismus?

Armin Langer: Ja, durchaus. Es geht dabei nicht darum, bestimmte Minderheiten zu schützen, wie in dem Fall die Juden, sondern darum, eine andere Minderheit zu stigmatisieren.

Islamische Zeitung: Sie sind in Neukölln eine lokale Berühmtheit. Wie reagieren die Menschen auf Sie? Wie reagieren die Muslime auf sie?

Armin Langer: In Neukölln sind wir mit vielen Muslimen im Gespräch. Wir haben gute Verbindungen zu den muslimischen Gemeinden. Ich habe schon öfters in der Sehitlik-Moschee sowie der Neulöllner Begegnungsstätte referiert, mich als Jude vorgestellt, über jüdische Angelegenheiten gesprochen und habe dabei nie etwas Negatives erfahren.

Kurz nachdem ich nach Neukölln gezogen bin und zu einem arabischen Friseur kam, und er mich nach meinem Motiv für den Umzug fragte, ich es mit meinem Rabbiner-Seminar begründete, war seine Reaktion nicht, mich auszufragen, wie ich zu der Besatzung des Westjordanlandes stünde, sondern, wie man denn ein Rabbiner wird. Ähnlich war es auch bei einem anderen, wiederum türkischen, Friseur. Der erzählte mir auf die Information, dass ich Jude bin, sofort von Andalusien und wie gut Juden und Muslime dort zusammenlebten. Diese Reaktion gibt es übrigens oft. Alle wollen über Andalusien reden (lacht).

Islamische Zeitung: Gab es antisemitische Angriffe auf Sie in Neukölln?

Armin Langer: Nein, nie. Und jüdische Freunde, die täglich mit Kippa durch den Bezirk laufen, waren ebenso nie irgendwelchen Angriffen ausgesetzt. Hin und wieder hört man schon einen antisemitischen Kommentar, aber die hört man in jedem anderen Bezirk genauso. Und das wohlgemerkt nicht speziell von Muslimen.

Islamische Zeitung: Selbst ein Kommentar kann als Angriff verstanden werden. Auch Muslime beklagen, dass es immer öfter zu antimuslimischen Kommentaren auf offener Straße kommt. Vor allem muslimische Frauen berichten davon. Kommen die Kommentare von der gleichen Quelle?

Armin Langer: Ich würde sagen, die Kommentare kommen vor allem von Leuten, die von einem weißen, christlichen Deutschland träumen und alle anderen Identitäten, seien sie jüdisch oder muslimisch geprägt, werden dabei nicht respektiert. Ich glaube schon, dass die Beurteilung des Antisemitismus sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Wer sich antisemitisch in der Öffentlichkeit äußert, verliert seinen Job am nächsten Tag. Und das ist auch gut so. Aber ich würde mir wünschen, dass der gleiche Maßstab auch bei Äußerungen gegen Muslime angesetzt würde.

Islamische Zeitung: Kann man Antisemitismus und Islamophobie miteinander vergleichen? Sind es gleiche Techniken?

Armin Langer: Es sind oft identische Vorwürfe. Zum Beispiel wird Juden und Muslimen vorgeworfen, die Welt übernehmen zu wollen. Es gibt Leute, die von Verjudung sprechen und Leute, die von einer Islamisierung sprechen. Juden wird vorgeworfen, ihre Religion sei primitiv oder rückständig, was zum Beispiel damit begründet wird, dass einige Juden dem anderen Geschlecht nicht die Hand geben und die gleichen Vorwürfe hören wir eben auch bei Muslimen. Bekannterweise auch, was die Beschneidung oder das rituelle Schächten angeht. Das Grundsatzprogramm der AfD betrifft in vielen Punkten übrigens nicht nur Muslime, sondern auch Juden.

Islamische Zeitung: Wie bewerten Sie den Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes?

Armin Langer: Es gab nie ein christlich-jüdisches Abendland. Juden wurden nie als Teil Europas angesehen. Wir waren über 2000 Jahre unterdrückt in diesem Land, teilweise verfolgt, standen vor der Vernichtung oder wurden vereinzelt geduldet. Wir wurden aber nie als Teil der Gesellschaft anerkannt. Wer sich den europäischen Kanon der Literatur anschaut, findet nicht wirklich jüdische Autoren. Heinrich Heine oder Karl Marx finden sich dort nur, weil sie zum Christentum konvertiert sind. Heinrich Heine selbst erklärte, das Konvertieren zum Christentum sei die Eintrittskarte in die europäische Gesellschaft. Ich muss aber sagen, dass ich zuversichtlich bin. Gerade den jungen Generationen ist bewusst, dass Deutschland nicht mehr das gleiche Land wie vor 50 oder 100 Jahren ist, also nicht mehr ethnisch homogen. Das ist natürlich nicht einfach zu verarbeiten, aber ich bin guter Hoffnung.

Islamische Zeitung: Wie haben Europas Juden versucht, 2 Jahrtausenden Antisemitismus entgegenzuwirken?

Armin Langer: Im 19. Jahrhundert gab es eine Bewegung, die antisemitische Hetze in Zeitungen thematisiert hat. Man veröffentlichte einen Pressespiegel und machte deutlich, dass das nicht „Judentumkritik“ war, sondern klar Antisemitismus. Es gibt Forscher, die dieser Methode eine gewisse Effektivität zusprechen. Auf der anderen Seite ist der Holocaust aber trotzdem geschehen. So effektiv war es dann also auch nicht. Nicht unwichtig ist natürlich aber auch die Finanzkrise und andere sozioökonomische Phänomene, die ein solches Projekt nicht einfach machten. Ich glaube aber, dass wir verstärkt darauf hinweisen müssen, dass es nicht „Islamkritik“ ist, wenn Muslimen pauschal etwas unterstellt wird, sondern plump Rassismus. Das kann alles als freie Meinungsäußerung geschützt werden, gleichzeitig ist eine inhaltliche Entgegnung unsererseits notwendig.

Islamische Zeitung: Die organisierte Islamkritik fordert Einschränkungen des Islam, Einschränkungen für Muslime. Haben Juden in ihrer Geschichte in Deutschland vor der NS-Zeit Ähnliches hören müssen?

Armin Langer: Es gab viele Initiativen für die Einschränkung der Rechte von Juden. Schon weit vor den Nazis, beispielsweise für das Verbot des Schächtens. Es gab viele der sogenannten aufgeklärten, liberalen Philosophen, die sich dafür ausgesprochen haben, das Judentum sei eine rückständige Religion und Juden müssten zum Christentum oder Atheismus konvertieren, darunter zum Beispiel Immanuel Kant oder die Humboldt-Brüder.

Islamische Zeitung: Heute hören Muslime, sie sollen sich reformieren, einem liberalen oder humanistischen Islam folgen. Sehen Sie darin Parallelen?

Armin Langer: Absolut, ganz klar. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte um staatliche Neutralität. Die Forderung ist nämlich nicht wirklich, neutral zu sein, sondern die christlichen Normen zu übernehmen. Es ist nicht neutral, keine religiös geprägte Kleidung zu tragen, sondern entspricht der christlichen Vorstellung von Religion und Kleidung. Laut der christlichen Theologie braucht der Bürger keine religiösen Symbole. Laut der muslimischen und der jüdischen Theologie gibt es im Erscheinungsbild aber schon Merkmale, die man als religiöse Symbole verstehen kann.

Islamische Zeitung: Manchmal hört man den Satz, Muslime seien die neuen Juden. Ich halte ihn für faktisch-historisch und spirituell schwierig. Wie bewerten Sie das?

Armin Langer: Schlicht würde ich sagen, dass ich das nicht so sehe, weil es die alten Juden immer noch gibt und Antisemitismus nicht verschwunden ist. Aber ich finde, der Satz macht aufmerksam auf die Parallelen zwischen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Es ist sehr wichtig, über diese Ähnlichkeiten zu reden, weil dadurch die Ausgrenzungsmechanismen, denen sich Muslime ausgesetzt sehen, besser verstanden werden können. Es sollte Allgemeinbildung sein, dass die Argumente, die heute gegen Muslime verwendet werden, nichts Neues sind. Wenn man das erkennt, sieht man auch, wohin eine solche Hetze führen kann.

Islamische Zeitung: Neukölln hat nicht nur neue jüdische Einwohner. Gerade dieser Kultbezirk ist bei syrischen Flüchtlingen sehr beliebt. Hier wurden sogar bereits einige Läden von ihnen eröffnet. Wie haben syrische Flüchtlinge Neukölln für Sie verändert? Können Sie etwas mit der Behauptung, eines „importierten Antisemitismus“ anfangen?

Armin Langer: Ich muss sagen, ich liebe diese neuen syrischen Läden. Das Essen schmeckt unglaublich gut. Man muss an der Stelle auch erwähnen, dass es keinen Ort in Deutschland gibt, wo man eine so große Auswahl an gutem Essen bekommt. Zurück zu den Syrern, da möchte ich festhalten, dass ich viele von ihnen kennengelernt habe und keiner von ihnen war antisemitisch. Warum soll man über etwas reden, worüber es keine Zahlen gibt und Flüchtlinge pauschal in einen Verdacht stellen? Neukölln hat sich zumindest durch sie nicht zum Negativen verändert.

Islamische Zeitung: Lieber Herr Langer, man kennt den Vorwurf, Politik und Medien seien auf dem rechten Auge blind. Finden Sie, es wird zu viel über vermeintlichen Antisemitismus durch Muslime geredet?

Armin Langer: Laut den Angaben der Bundespolizei werden über 95 Prozent aller antisemitischen Straftaten von Rechtsextremisten begangen. Wenn die deutsche Mehrheitsbevölkerung darauf spekuliert, Muslime könnten die neuen Antisemiten sein, versucht sie, die Verantwortung abzugeben, die Gefahr des Antisemitismus ernsthaft zu bekämpfen.

Islamische Zeitung: Welches Verhältnis haben Sie zu Ungarn?

Armin Langer: Es ist anstrengend, zuzusehen, was sich dort tut. Ich bin ziemlich pessimistisch, was die Entwicklung der ungarischen Öffentlichkeit angeht. Deshalb bin ich auch nach Deutschland gezogen. Ich war dort damals politisch aktiv, mit dem Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen. In Deutschland habe ich jedoch die Hoffnung, dass wir verhindern können, dass die Rechten an die Macht gelangen. Antisemitismus und Islamhass verbreiten sich in Ungarn rasant, gerade im Zuge der Flüchtlingskrise. Was auf der einen Seite absurd ist, weil es in Ungarn kaum Muslime gibt und einige wenige dort eine jahrhundertealte Geschichte haben. Auf der anderen Seite gibt es in Budapest aber auch fünf bis sieben Prozent Juden. Gleichzeitig sind Antisemitismus und Islamhass im öffentlichen Diskurs Ungarns verankert.

Islamische Zeitung: Gerade Konservative sprechen in Deutschland vom christlich-jüdischen Abendland. Helmuth Kohl lobte gerade erst die Politik Viktor Orbans, Seehofer traf sich gar mit ihm.

Armin Langer: Sie passen zueinander. Seehofer ist nicht viel besser als Orban. Beide sind ziemlich rechtspopulistisch, sie vertreten eine ähnliche Linie in Bezug auf Geflüchtete und Muslime überhaupt.

Islamische Zeitung: Würden Sie sagen, wer antimuslimisch ist, hat das Potenzial, auch antisemitisch zu sein?

Armin Langer: Es gibt mehrere Studien, die das beweisen. Zum Beispiel hat Andreas Zick vom Institut für Gewaltforschung in Bielefeld nachgewiesen, dass Menschen, die antimuslimische Ansichten vertreten, oft auch antisemitische Ansichten haben. Dabei wurden Anhänger der Pegida-Bewegung befragt. Und diese waren sehr offen für Antisemitismus. Nur wird das weniger offen geäußert. Antimuslimische Äußerungen sind nicht derartig verpönt. Ich habe früher schon gesagt: Wer sich antisemitisch äußert, verliert seinen Job, wer sich antimuslimisch äußert, wird Bestseller-Autor.

Islamische Zeitung: Wie können Juden und Muslime effektiv gegen diese Phänomene antreten?

Armin Langer: Es ist wichtig, dass Juden und Muslime, nicht nur parallel zueinander, sondern gemeinsam gegen Rechtspopulisten auftreten. Eine gemeinsame Kampagne gegen Rechts ist notwendig. Beide Glaubensgemeinschaften sind von diesem Hass betroffen. Das letzte Mal war die Beschneidungsdebatte, aber das ist eben schon eine Weile her. Jetzt gibt es mit dem Grundsatzprogramm der AfD einen neuen Anlass. Ich denke auch nicht, dass wir dabei auf die Vertreter von Verbänden warten müssen. Die Zivilgesellschaft hat ein starkes Potenzial. Die Mehrheitsgesellschaft muss realisieren, dass es Juden und Muslime gibt, die sich an diesen Debatten beteiligen wollen. Und sie muss ebenso realisieren, dass sie nicht Angst vor Muslimen, sondern vor Rechtsextremen haben sollte.

Islamische Zeitung: Wir bedanken uns für das Gespräch.

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Was tun gegen Tyrannei?

„Nehmen Sie die Redefreiheit weg, und die kreativen Fähigkeiten versiegen.“ George Orwell

(iz). Rund drei Jahrzehnte nach Einsetzen der Globalisierung, mehr als zehn Jahre nach Beginn der Finanzkrise, dem Erfolg autoritärer Bewegungen und den Umwälzungen der sozialen Medien (auf Seiten ihrer Hardware ­sowie deren Folgen für die soziopo­litische Kommunikation) – all das scheint die Überzeugung zu widerlegen, die noch vor ein bis zwei Jahrzehnten einen angeblichen Siegeszug der Demokratie voraussagte. Manche wie der Amerikaner Fukuyama haben ihre Projektion eines erhofften „Endes der Geschichte“ längst revidiert. Auch der Kanzlerin sollte klar sein, dass die, von ihr vor einigen Jahren gepriesene „marktkonforme Demokratie“ nicht mehr haltbar ist. China, Indien und immer mehr andere Länder zeigen, dass sich „die Märkte“ in post- oder antidemokratischen Verhältnissen gedeihen können. Darüber hinaus ist die Frage berechtigt, ob es nicht eben jene gesichtslosen „Märkte“ und ihre „unsichtbare Hand“ gewesen sind, welche die globale Krise der Freiheit mit hervorbrachten.

Man könnte meinen, so viel Freiheit war noch nie. Wir dürfen über unser Geschlecht entscheiden, immer mehr Staaten räumen alternativen Familienmo­dellen mehr Rechte ein als früher, wir können im steigenden Maße einige Drogen frei konsumieren und dürfen mancherorts „selbstbestimmt“ über den Augenblick bestimmen, an dem wir aus dem Leben scheiden. Das rosige Bild bleibt aber nur stimmig, wenn wir nur einen geografisch und thematisch begrenzten Ausschnitt vom Stand unserer Freiheit sehen.

In der Einführung seines Buches „Das Zeitalter des Zorns“ schreibt Pankaj Mishra über die andere Seite: „Die weiterreichenden politischen Implikationen dieses revolutionären Individualismus sind allerdings weitaus zwiespältiger. Die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Ideale endlosen Wirtschaftswachstums und privaten Vermögenszuwachses auf ebenso breiter Front gescheitert sind. Die meisten neuen »Individuen« rackern sich ab in schwach konzipierten sozialen und politischen Gemeinschaften und/oder in Staaten mit ständig schwindender Souveränität. (…) Die Nähe oder die »negative Solidarität«, wie Hannah Arendt dies nannte, wird noch beengender durch die digitale Kommunikation (…).“

Mishra legt den Finger auf eine Wunde, die ein ökonomieblindes Verständnis von Freiheit nicht sehen kann. 100 Jahre nach 1919 seien „Milliarden weiterer Menschen, den Versprechungen individueller Freiheit ausgesetzt worden“. Das geschehe im Rahmen einer „globalen neoliberalen Ökonomie“ – die seiner Ansicht nach im Moment ihrer Umsetzung bereits wieder unzeitgemäß werde. In „Das Zeitalter des Zorns“ erinnert der Autor an Alexis de Tocqueville und dessen Beobachtungen über die ­Demokratie in Amerika. Der Franzose warnt davor, dass jene, die das, durch die Ökonomie hervorgebrachte „Leben voller Ungewissheit, Veränderung und Gefahr“ fürchteten, leicht Sehnsucht nach unbeschränkter Despotie entwickeln.

Als ein wichtiges Moment macht Pankaj Mishra die Funktion von Ressentiment aus. Damit lehnt er sich nicht zu sehr aus dem Fenster, werden doch populistische Bewegungen und identitäre Momente, die Freiheit bedrohen können, dadurch geprägt. Egal wo, jeder scheine an jener „Selbstvergiftung“ zu leiden, die der Schriftsteller Albert Camus als „unheilvolle, abflusslose Absonderung einer fortgesetzten Ohnmacht“ beschrieben hat. „Camus hielt wie viele andere Schriftsteller und Denker das Ressentiment für ein bestimmendes Merkmal der modernen Welt, in der die individuelle Unzufriedenheit mit dem tatsächlich verfügbaren Maß an Freiheit ständig in Widerspruch gerät zu ausge­feilten Theorien und Versprechen individueller Freiheit und Befähigung.“ Das Ressentiment müsse explosiv werden, wenn die Ungleichheit wachse und keine politische Abhilfe in Sicht sei.

„Aristoteles warnte, dass Ungleichheit zu Ungleichgewicht führt“, schreibt ­Timothy Snyder in „Über Tyrannei“. Darin greift der US-Historiker aktuelle Strömungen auf, anhand derer er vor ­einem Erstarken von Demagogen warnt. Gleichzeitig formuliert er in dem kurzen Band zwanzig Ratschläge, welche die Freiheit bewahren sollen. Dabei orien­tiert er sich an den Autoren der US-amerikanischen Verfassung, die wussten, dass Republiken zu Oligarchien und ­Imperien werden können.

Ein warnendes Vorbild ist für Snyder die Lage zwischen beiden Weltkriegen. Während im späten 19. wie im späten 20. Jahrhundert die Ausweitung des Welthandels Hoffnungen auf Fortschritte geweckt hätte, seien sie von neuen Visionen der Politik der Massen abgelöst worden. Aus den kollabierenden Demokratien erwuchsen entweder Faschismus oder die sowjetischen Modelle der Nachkriegszeit in Osteuropa. Beide totalitäre Strömungen seien „Antworten auf Globalisierung“ gewesen – auf die realen oder eingebildeten Ungleichheiten, die diese erzeugt habe. „Wir könnten versucht sein zu denken, dass unser demokratisches Erbe uns automatisch vor solchen Gefahren schützt. Das ist ein fehlgeleiteter Reflex.“

Anders als früher braucht es nicht mehr unbedingt Bürgerkrieg, Putsch oder Revolution, um eine autoritäre ­Regierung an die Macht zu bringen. ­Timothy Snyder und die Autoren von „Wie Demokratien sterben“ (Levitzky & Zilblatt) sind sich einig, dass es jetzt meist Wähler seien, welche die neuen „starken Männer“ an die Macht brächten. „Der Großteil der autoritären Macht wird freiwillig abgegeben“, schreibt Snyder. „In Zeiten wie diesen denken Einzelpersonen voraus, was eine repressivere Regierung wollen könnte. Und dann bieten sie sich an, ohne gefragt zu werden.“ Ein Bürger, der sich so anpasst, lehre die Macht, was sie tun kann. Vorauseilender Gehorsam sei „eine politische Tragödie“. Als Beispiel führt er das Milgram-Experiment an. Das war, laut Wikipedia, „ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psycholo­gisches Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen“.

Es sei wichtig, dass BürgerInnen zur Verteidigung ihrer Freiheit die bestehenden Institutionen des Staates schützen. Es sei ein Denkfehler, dass Regierende, die durch bestehende Institutionen des Staates an die Macht kämen, diese nicht verändern oder zerstören könnten. „Manchmal werden Institutionen ihrer Vitalität und Funktion beraubt und in ein Scheinbild dessen verwandelt, was sie einst waren, sodass sie die neue ­Ordnung umgürten, anstatt sich ihr zu widersetzen. Das nannten die Nazis »Gleichschaltung«.“

Für Timothy Snyder bedeutet Freiheit, Verantwortung für die Form der Welt zu übernehmen. Das Leben sei politisch. „Nicht, weil die Welt sich um Ihre Gefühle schert, sondern, weil die Welt auf das reagiert, was Sie tun.“ In der Politik des Alltags zählten „unsere Worte und Gesten oder ihre Abwesenheit“ sehr viel. Jemand müsste dies tun. Es sei einfach, zu folgen. Ein ähnliches Argument findet sich in Francis Fukuyamas neuem Buch „Identität“. Freiheit bedeute typischerweise mehr, als nur von der Regierung in Ruhe gelassen zu werden. „Sie meint menschliche Tatkraft sowie die Fähigkeit zur Ausübung eines Machtanteils durch aktive Teilnahme an der Selbstverwaltung.“ Das sei das Gefühl der Handlungsfähigkeit, das von den Massen auf den Straßen von Tunis oder Kiew gespürt wurde.

„Ohne dieses Unbehagen aber, gibt es keine Freiheit. (…) Der Moment, in dem Sie ein Beispiel sind, bricht der Bann des Status quo und andere werden folgen.“ Dafür dürften sich die Menschen, denen an Freiheit gelegen ist, aber nicht von den Tatsachen verabschieden, denn „die Abkehr von Fakten bedeutet die Abkehr von Freiheit“. Wenn nichts wahr sei, könne niemand Macht kritisieren, da es keine Grundlage dafür gäbe. „Wenn nichts wahr ist, wird alles Spektakel.“

Hier spricht Snyder einen beängstigenden Trend an, der eine der Gefahren der Freiheit ist: der globale Drang zum radikalen Subjektivismus und die Abkehr vom Mindestmaß einer geteilten Objektivität (siehe IZ Nr. 293, Seite 8). Wir akzeptieren Unfreiheit, wenn wir den Unterschied zwischen dem leugnen, was wir hören wollen und was tatsächlich der Fall ist. „Diese Verleugnung von Realität kann sich natürlich und angenehm anfühlen. Aber das Ergebnis ist Ihr Niedergang als Individuum – und damit der Zusammenbruch jedes politischen Systems, dass auf Individualismus beruht.“

Was die große Denkerin Hannah Arendt unter Totalitarismus verstand, war nicht nur ein allmächtiger Staat, sondern auch die Aufhebung des ­Unterschieds zwischen privatem und öffentlichem Leben. Wir sind nur frei, als wir die Kontrolle darüber ausüben, was die Menschen über uns wissen und unter welchen Umständen sie es erfahren. Aus diesem Grund sieht Timothy Snyder in der Verteidigung von Privatheit (die in Deutschland seit 2001 erheblich abgebaut wurde) ein Element der Bewahrung von Freiheit. „Wenn wir keine Kontrolle darüber haben, wer was wann [aus unse­rem Leben] liest, haben wir keine Möglichkeit, in der Gegenwart zu handeln oder für die Zukunft zu planen. Wer in Ihre Privatsphäre eindringen kann, kann Sie demütigen und Ihre Beziehungen nach Belieben stören. Niemand (außer vielleicht einem Tyrannen) hat ein Privatleben, das die öffentliche Exposition durch feindliche Direktiven überleben kann.“

So wichtig die Verteidigung von ­Privatsphäre für die Freiheit des Einzelnen ist, so können wir nicht nur als isolierte Wesen betrachtet werden. Für den englischen Journalisten und Essayisten George Orwell, für den Freiheit in Zeiten des Totalitarismus zum Lebensthema wurde, wäre das ein Irrtum. Es sei Unsinn, von privater Freiheit zu träumen, derer man sich gegenüber einer despotischen Regierung erfreuen könnte. „Philosophen, Schriftsteller, Künstler und sogar Wissenschaftler brauchen nicht nur Ermutigung und ein Publikum, sie brauchen die ständige Anregung durch andere Menschen. Es ist fast unmöglich, zu denken, ohne zu sprechen.“

An den Unterschied zwischen privat und öffentlich knüpft auch Hannah Arendt mit ihrem Verweis auf die griechischen Stadtstaaten an. „Der öffentliche Raum war der Ort der Freiheit“, schreibt sie in „Vita Activa oder vom Tätigen ­Leben“. Vorbedingung für ein politisches Handeln im öffentlichen Raum sei Freiheit von der Notwendigkeit des Privaten gewesen. Parallel dazu sieht Hannah Arendt in der Moderne eine Abwertung des Handelns, da es mit den anderen Tätigkeiten vermischt wird. Die Politik werde demnach, so Siegfried König in seiner Einführung in das Leben und Werk Arendts „als ein Akt des Herstellens begriffen, der nicht mehr auf Freiheit, im Sinne eines Freiraums für die Möglichkeiten des Handelns, sondern auf einen Zweck gerichtet ist, auf die Gestaltung und Verwaltung der ganzen Gesellschaft“.

In Anknüpfung an die US-amerikanische Formel vom „Streben nach Glück“ könne niemand glücklich genannt ­werden, der nicht an den öffentlichen Angelegenheiten teilnimmt. Selbstbe­stimmung ist für Arendt (in „Über die ­Revolution“) vorrangig eine öffentliche. Für sie (in „Vom Leben des Geistes“) setzt die politische die philosophische Autonomie voraus. „Die politische ­Freiheit ist eine Sache der Gemeinschaft, sie kann sich nur in der Gemeinschaft zeigen, in der Sphäre der menschlichen Pluralität. Sie ist eine Sache des Wir.“

Was kann das nun für Deutschlands Muslime und darüber hinaus bedeuten? Zum Einen die Zurückweisung der bis 2001 zurückreichenden Terrordialektik. Im Angesicht der existenziellen Gefahren der liberalen Demokratie, die aus ihren inneren Widersprüchen erwachsen sind, ist es absurd, weiterhin Muslime und ihre Religion als Hauptgefahr eines freiheitlichen Rechtsstaates zu bezeichnen. Zum Anderen aber die Erkenntnis, dass Freiheit – individuelle wie gemeinschaftliche – dann leidet, wenn die Mitte der Gesellschaft von den Radikalen unter Druck gesetzt wird. Nicht von ungefähr werden sie im Qur’an als „Gemeinschaft“ der Mitte beschrieben. Daher ist es in unserem Eigeninteresse, der nicht gebotenen Einschränkung von Grundfreiheiten wie dem Recht auf freie ­Meinungsäußerung Einhalt zu gebieten. Und das nicht nur deshalb, weil wir­ ­spätestens seit dem 11. September 2001 Erfahrungen mit Ausgrenzungsdis­kursen machen durften. Und schlussendlich gilt die Erinnerung, dass für Denker wie Hannah Arendt Freiheit und menschliche Handlungsfähigkeit aus dem ­Zusammenkommen der Menschen erwachsen.

Lesetipps:
– Arendt, Hannah: Die Freiheit, frei zu sein
– Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie ­gefährdet
– Levitsky, Steven & Zilblatt, Daniel: Wie Demokratien sterben. Und was wir ­dagegen tun können
– Orwell, George: The Complete Works of George Orwell
– Snyder, Timothy: Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand