(iz). Der Islam lehnt jede Art von Rassismus und Diskriminierung ab. Egal, aus welchen Gründen oder Motiven sie kommen mögen. In seiner Abschiedspredigt sagte der Prophet Muhammad, Allahs Segen und Frieden auf ihm: „Ein Araber ist nicht vorzüglicher als ein Nichtaraber, noch ein Nichtaraber vorzüglicher als ein Araber; ein Schwarzer ist nicht vorzüglicher als ein Weißer, noch ein Weißer vorzüglicher als ein Schwarzer, außer durch Frömmigkeit. Die Menschen stammen von Adam, und Adam ist aus Erde. Wahrlich, jedes Privileg, sei es aufgrund von Blut oder Besitz, ist unter diesen meinen Füßen ausgelöscht.“
Dabei rezitierte der Prophet den Qur’anvers: Oh ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Gewiß, der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch. Gewiß, Allah ist Allwissend und Allkundig. (Al-Hujurat, 13) Dass heißt, es gibt Unterschiede zwischen den Menschen und den Völkern; nicht, weil die einen höher als die anderen sind oder damit man sich leugnet und miteinander im Streit liegt, sondern, damit man sich durch Neugier kennenlernt, die Anlässe des gesellschaftlichen Lebens schätzt und sich dabei gegenseitig unterstützt.
Globale Kriege zeigen uns aber, dass aufgrund von Rassismus und Machtwahn die ganze Welt aufgeteilt wird wie in einem Zoo. Die einen sollen hier leben, die anderen dort und sie sollen sich bloß nicht näherkommen. Man stelle sich vor, die einen seien in diesem Käfig, die anderen in dem anderen. So könnte man einige Grenzziehungen verstehen, die es zwischen Ländern, ja sogar zwischen Städten gab und noch immer gibt.
Was sich unmenschlich, unvorstellbar, grausam und barbarisch anhört, hat jedoch tatsächlich stattgefunden. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Menschenzoos, die „Völkerschau“ genannt wurden. Von 1870 bis nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in einigen Städten Menschenzoos. Menschen, die „anders“ aussahen, wurden in Ausstellungen wie exotische Tiere präsentiert. Schaulustige bezahlten Ticketpreise und bestaunten ihre „Artgenossen“.
Auch wenn die Organisatoren mit den Menschen, die sie zur Schau stellten, Verträge, zum Beispiel nach Dauer und Bezahlung der Schau, abschlossen, bleibt das Schauspiel ein Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte. Auch das beschönigende Wort „Völkerschau“ kann nicht verharmlosen oder verschleiern, dass es de facto nichts anderes als Menschenzoos waren.
Je nach Aussehen, Hautfarbe, Haarfarbe, Geschlecht, Größe, mit oder ohne Behinderung, wurden diese Menschen ausgestellt. Kinder wie auch Erwachsene. Teilweise mit Hilfe von Tierfängern wurden immer mehr Menschen zur Ausstellung in die Zoos gebracht.
Es war verboten, die Menschen „zu füttern“, denn der Verzehr unbekannter Nahrungsmittel konnte zu Erkrankungen führen. Das war natürlich nicht im Sinne des Zoobesitzers. Nicht der Menschen wegen, sondern, damit die Show weiterging.
Tod, Hochzeit oder Geburt waren große Highlights. Wohlgemerkt waren diese nicht inszeniert, sondern absolute Realität. Die Besucher schauten sich dann eine Trauerfeier, eine Beerdigung oder eine Geburt an. Dementsprechend mussten sie zahlen. Es erinnert an heutige Reality-Shows.
Die Völkerschauen trugen nicht, wie Befürworter immer wieder sagten, zur Völkerverständigung bei, indem man dadurch eine fremde Kultur besser kennenlernte, sondern vielmehr dazu, dass Klischees und rassistische Vorurteile bekräftigt und koloniale Verhältnisse wiederbelebt wurden. Denn letztendlich besuchte und beobachtete der „überlegene“ Zuschauer den „zurückgebliebenen“, erniedrigten Zoomenschen. Das ist der Eindruck, der sich schließlich in den Köpfen festmachte.
In Deutschland gab es ungefähr 300 außereuropäische Menschengruppen, die ausgestellt wurden. In manchen Zoos gab es über 100 Menschen. Sowohl in Großstädten als auch in kleineren Städten gab es diese. Millionen besuchten die Ausstellungen. Zwischen 1870 und 1910 gab es in Wien über 50 Ausstellungen. Bei der Pariser Weltausstellung 1889 waren die Einweihung des Eiffelturms und die Ausstellung „Negerdorf“ mit 400 Afrikanern die Hauptattraktionen. Knapp 18 Millionen besuchten dieses „Dorf“. 1886 wurden auf der schweizerischen Landesausstellung 230 Sudanesen präsentiert. 1897 gab es in Brüssel ein Dorf mit 267 Afrikanern, die auf der Weltausstellung präsentiert wurden. 1931 gab es auf dem Münchner Oktoberfest die Ausstellung „Kanaken der Südsee“. 1937 gab es ein „Eingeborenendorf“ im Düsseldorfer Zoo.
Völkerschau wurde zur Mode. In Tierzoos, im Zirkus, auf Märkten und verschiedenen Festen wurden Menschen ausgestellt.
Als 1940 in Deutschland ein „Auftrittsverbot für Farbige“ verhängt wurde, gab es hierzulande keine Menschenzoos mehr. In anderen Städten Europas wurden sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich geschlossen. In Belgien fand der letzte Menschenzoo erst 1958 sein Ende. In Deutschland gab es zuletzt auf dem Oktoberfest 1950 eine Apachen-Show und 1951 und 1959 eine Hawaii-Show. Aufgrund des großen Erfolgs in Europa wurde das Modell auch in den USA bekannt.
Der bekannteste „Zoomensch“ war Ota Benga. Ota Benga, was so viel bedeutet wie „Freund“, wurde zwischen 1881 und 1884 geboren. Er war Mitglied des Batwa-Volkes in Kongo und gehörte zum kleinwüchsigen Stamm der Pygmäen. Ota Benga war verheiratet und hatte zwei Kinder. Eines Tages fand er seine gesamte Familie ermordet im Haus vor. Sein Stamm war von Menschenjägern überfallen worden. Die Force Publique Armee, eine offizielle Armee unter König Leopold II. von Belgien, hatte den gesamten Stamm ausgerottet. Frauen, Kinder, Männer, Alte – alle wurden getötet.
1904 kam der amerikanische Missionar Samuel Phillips Verner im Auftrag der Weltausstellung nach Afrika. Er hatte eine Liste dabei. Auf dieser waren Rassen, Ethnien und Arten, die in der Sammlung für den Menschenzoo noch fehlten, aufgelistet. Er wollte sie finden und im Zoo ausstellen. So fand Verner auch Ota Benga.
Also wurde Ota Benga nicht getötet, sondern sofort „erbeutet“, weil er zu einer noch fehlenden Art im Zoo gehörte. Er hatte nicht einmal die Gelegenheit, seine Trauer über den Verlust der Familie und des Stammes zu überwinden.
1904 wurde Ota Benga nach Amerika in den Zoo gebracht. Er wurde dort auf brutalste Art und Weise misshandelt. Wegen seiner scharfen und spitzen Zähne, die er in Kongo abgefeilt hatte, wurde er schnell zur Hauptattraktion.
Nach der Weltausstellung durfte Ota Benga wieder nach Afrika zurück. Doch da seine gesamte Verwandtschaft ermordet wurde, entschied sich Benga, mit Verner wieder in die USA zurückzukehren.
1906 brachte Verner Benga in den Menschenzoo in der Bronx, New York. Dort wurde er in einen Käfig mit einem Orang-Utan gesteckt. Zwar war es ihm anfangs erlaubt, sich frei im Zoo zu bewegen, doch schon kurze Zeit später verbrachte er seinen ganzen Tag im Käfig mit dem Affen. Am 08. September 1906 begann offiziell seine Ausstellung. Er wurde gezwungen, mit dem Affen zu spielen und zu lachen. Wenn er nicht lachte, wurde er gepeitscht. Um Ota Benga zu sehen, zahlte man 25 Cent. Wenn man ihn lächelnd sehen wollte, dann kostete es 30 Cent. Daher sollte er ständig lächeln.
Vor dem Käfig gab es Informationen zu ihm: „Der afrikanische Pygmäe, Ota Benga. Alter 23 Jahre. Größe circa 150 cm. Gewicht circa 51 kg. Gebracht vom Fluss Kasai, Freistaat Kongo, Südliches Zentralafrika, von Dr. Samuel P. Verner. Ausstellung jeden Nachmittag im September.“
Bekannte Rassisten unterstützten die Ausstellung und warben dafür. Doch die afroamerikanische baptistische Gemeinde machte Druck und protestierte dagegen. Die Ausstellung von Ota Benga wurde als rassistisch und unmenschlich deklariert.
Nach Druck aus weiteren Kreisen durfte er den Käfig verlassen. Er war jedoch weiterhin im Zoo. Als Attraktion sollte er umherlaufen. Doch je mehr ihn die Besucher wie ein Tier behandelten, desto aggressiver wurde auch Ota Benga.
Gegen Ende September wurde er entlassen und kam in ein Waisenhaus. Danach schaffte er es sogar, eine Ausbildung in einer Tabakfirma zu beginnen. Hier wurde er von seinen Arbeitskollegen herabwürdigend „Bingo“ genannt. Er erzählte seinen Kollegen seine Lebensgeschichte und erhielt im Gegenzug Brot. Seine Ausbildung konnte er nie beenden.
Seine Schmerzen waren unheilbar. Seine Seele hatte sehr gelitten und das Trauma war zu groß. Am 20. März 1916 begann Ota Benga in Lynchburg Selbstmord. Er machte einen kulturellen Tanz und schoss sich danach mit einer gestohlenen Pistole ins Herz. Sein Selbstmord ist auch der Selbstmord der damaligen Gesellschaft.
In seiner Todesurkunde wurde er mit dem Namen „Otto Bingo“ statt Ota Benga vermerkt. Ein Symbol für seine Kolonisierung, die seine Identität völlig ausbeutete, ihn vom Menschen zum Tier, von Ota zu Otto, von Benga zu Bingo machte.
Nicht einmal ein richtiges Grab erhielt Ota Benga. Beerdigt wurde er in einem unmarkierten Grab.
Auch nach seinem Tode wird Benga weiterhin missbraucht. Im American Museum of Natural History in New York wird heute noch eine Maske des Gesichtes und ein Abdruck des Körpers von Ota Benga ausgestellt, jedoch nicht mit seinem Namen, sondern mit der Bezeichnung „Pygmäe“, als würde man eine seltene Tierart ausstellen.
Wenn Menschen vorgeführt werden
Ausgabe 258